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Enerige & Management > Windkraft Onshore - Bürgerbeteiligung als Schlüssel zum Erfolg
Bild: psdesign1 / Fotolia
WINDKRAFT ONSHORE:
Bürgerbeteiligung als Schlüssel zum Erfolg
Beispiele in Coesfeld und Lichtenau zeigen, wie sich Bürger dank einer breiten und durchdachten finanziellen Beteiligung für neue Windparkprojekte gewinnen lassen.
 
Kurz vor dem zurückliegenden Weihnachtsfest hat Milan Nitzschke beruhigt seinen Schreibtisch verlassen: „In Coesfeld läuft für uns alles nach Plan.“ In der westmünsterländischen Kreisstadt errichtet die SL Naturenergie GmbH, deren zweiköpfiger Geschäftsführung Nitzschke angehört, seit Sommer vergangenen Jahres den größten Windpark in der über 20-jährigen Unternehmensgeschichte: 13 Anlagen vom Hersteller Siemens Gamesa mit einer Gesamtleistung von knapp 53 MW will der Windkraftprojektierer mit Sitz in der Ruhrgebietskommune Gladbeck in diesem Frühjahr in Betrieb nehmen. Das Investitionsvolumen beläuft sich auf über 70 Mio. Euro.

Nicht nur deshalb spricht Nitzschke beim Windpark Coesfeld Letter Bruch von einem „Leuchtturmprojekt“: „Das Vorhaben ist komplett im Konsens geplant und umgesetzt worden, von der Bürgerschaft, den Landwirten, deren Flächen wir nutzen, bis hin zu den Gemeinden und Stadtwerken vor Ort.“ Zu dem Betreiberkonsortium haben sich eine Gruppe von Landwirten (gemeinsamer Anteil: 25 %), der lokale Stadtwerkeverbund Emergy (25 %), dem die Kommunalversorger aus Borken und Coesfeld angehören, und SL Naturenergie selbst (50 % der Anteile) zusammengeschlossen.

Das Gladbecker Unternehmen wird einen Teil seiner „Erzeugungsscheibe“ für eine Bürgerbeteiligung nutzen, die exklusiv für Coesfelder Bürger reserviert ist. Bis zu 5 Mio. Euro Gesamtsumme werden in zwei Tranchen so über private Nachrangdarlehen zusammenkommen. Die erste Tranche war bereits nach wenigen Wochen voll gezeichnet, die zweite Hälfte soll zu Beginn dieses Jahres eingesammelt werden. Der Einstieg ist bereits mit 500 Euro möglich. Die Privatanleger erhalten dafür eine jährliche Ausschüttung von immerhin 6 % - festgelegt über 20 Jahre.

„Wir müssen die Mehrheit der Bürger vor Ort gewinnen“

Daneben bleibt weiteres „Wind-Geld“ in der Region: Stiftungsausschüttungen für Vereine und Initiativen, Gewerbesteuer und die Aufträge für lokale Dienstleister beim Bau des Windparks. „Wir haben in Coesfeld alle Partizipationsmöglichkeiten ausgereizt“, sagt Windmanager Nitzschke, „um so eine möglichst breite Identifikation der Bürger mit diesem Windpark zu erreichen, der das Ortsbild über Jahre hinweg prägen wird.“
 
Reichlich Helfer gab es im Juni 2020 bei der Spatenstichzeremonie für den Windpark Letter Bruch in Coesfeld. Rechts im Bild: Klaus Schulze Langenhorst, Gründer und Geschäftsführer von SL Naturenergie aus Gladbeck
Bild: SL Naturenergie GmbH

Dieser Beteiligungsmix passe, so Nitzschke, zur Philosophie von SL Naturenergie: „Wer beim Klimaschutz vorangeht, soll auch finanziell fair etwas davon haben.“ Wenn es nach ihm ginge, sollte dieser Grundsatz für möglichst alle Windparkprojekte gelten: „Klar lassen sich hartnäckige Windkraftgegner nicht mit einer Beteiligung an den Einnahmen besänftigen“, sagt Nitzschke. „Wir müssen aber die Mehrheit der Bürger vor Ort gewinnen, womit sich die Windbranche viel Ärger und Gerichtsverfahren ersparen kann.“

Auch die Politik setzt nun für den weiteren Windkraftausbau auf eine finanzielle Teilhabe von Bürgern und Kommunen. In der jüngsten EEG-Novelle haben sich die schwarz-roten Regierungsfraktionen auf den neuen Paragrafen 36k verständigt. Dieser Passus sieht für die künftigen Betreiber die Option einer freiwilligen Kommunalabgabe vor, für die „ohne Gegenleistung insgesamt 0,2 Cent pro Kilowattstunde für die tatsächlich eingespeiste Strommenge“ vorgesehen sind. Was umgerechnet − abhängig vom Standort und Anlagentyp − jährlich 15.000 Euro und mehr pro neu errichteter Windturbine in die Gemeindekasse spült. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken hatte Schwarz-Rot allerdings darauf verzichtet, die „Windprämie“ für alle Neuanlagen verpflichtend einzuführen. Was Oliver Krischer, der Energieexperte in Reihen der grünen Bundestagsfraktion, als Fehler bewertete: „Das wird vor Ort nicht die Akzeptanz in dem Ausmaß schaffen, die wir brauchen.“

Auch Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie, reagierte verhalten auf den neuen Paragrafen 36k: „Die Beteiligung der Kommunen kann ein Baustein sein, um die positiven Erfahrungen einer erneuerbaren, dezentralen Energiewirtschaft stärker sichtbar zu machen. Wir hätten uns trotz der erreichten sinnvollen Präzisierungen wie beispielsweise der Klarstellung, dass die Prämie nicht einem Bestechungsversuch gleichkommt, auch eine Verpflichtung gewünscht.“
Damit sogenannte Standortkommunen künftig noch stärker von den Windparks vor Ort profitieren, setzt Axthelm auch auf eine von Schwarz-Rot während des Gesetzgebungsverfahrens angekündigte Änderung bei der Gewerbesteueraufteilung. Heute erhalten die Standortkommunen 70 % der bei einem Windpark anfallenden Gewerbesteuer, 30 % fließen nach wie vor an den Unternehmenssitz des Windkraftbetreibers. Dieser Schlüssel soll nun anscheinend geändert werden.

Ein Plan, den Josef Hartmann begrüßt: „Damit dürfte sich so manche Kommune leichter tun, sich für einen Windpark zu entscheiden.“ Der Mann weiß, wovon er spricht. In den Jahren 2014 bis 2019 war der SPD-Politiker Bürgermeister in der 11.500-Einwohner-Gemeinde Lichtenau in Ostwestfalen-Lippe. Während seiner Amtszeit hat sich Lichtenau zu der „Windmetropole“ in der gesamten Region entwickelt: Auf dem Stadtgebiet sind derzeit, fein austariert in fünf Vorrangzonen, insgesamt 174 Windturbinen in Betrieb, gut 20 weitere sind noch in Planung. Klingt viel, ist auch viel. Die vielen Windturbinen verteilen sich aber auf eine Fläche von gut 200 Quadratkilometern, Lichtenau ist die größte Flächenkommune in Nordrhein-Westfalen.
 
Lichtenaus Bürgermeister Josef Hartmann (r.) in seinem Element: Im November 2016 weihte er zusammen mit Hermann Dirkgreber (l.), Geschäftsführer der Stadtwerke Lichtenau, und Franz-Josef Lersch-Mense, dem damaligen NRW-Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien sowie Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, den Windpark Hakenberg ein
Bild: Privat

Bei seiner Windoffensive war es Hartmann, der bei der letztjährigen Kommunalwahl aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr angetreten ist, stets wichtig, „die Bürger finanziell mitzunehmen“. Auch in Lichtenau hat es lautstarke Proteste gegen die neue Windturbinen gegeben − insbesondere zu der Zeit, als der neue Flächennutzungsplan aufgestellt worden ist. Diese Stimmen sind verstummt. Was nach Hartmanns Einschätzung damit zu tun hat, dass sich mehrere Hundert Lichtenauer Bürger an den neuen Windparks beteiligen konnten und sich mittlerweile über jährliche Ausschüttungen zwischen „fünf bis sieben Prozent“ freuen. Was Josef Hartmann als Bestätigung seines Wind-Engagements empfindet: „Wenn ich sehe, hier wird ein Dach gedeckt oder da steht ein neues Auto, weiß ich, woher das Geld kommt.“

Noch ist der „Lichtenauer Weg“ in der Region eine Ausnahme

Zufrieden registriert der frühere Bürgermeister, dass mittlerweile alle Lichtenauer direkt oder indirekt von der Windenergie profitieren. So sei die Gewerbesteuer sprunghaft gestiegen, was der Gemeinde neue Spielräume für Neubauten oder Kultureinrichtungen verschaffe. „Während der Corona-Monate haben uns die Windsteuern, die nicht weggebrochen sind, sehr geholfen“, so Hartmann.
Er verweist auf ein weiteres Plus: Dank einer Kooperation mit der Westfalenwind-Gruppe, die ihr Geld im Wind- und Solarsektor verdient, profitieren viele Haushalte von einem niedrigen Stromtarif. Die eigenen Lichtenauer Stadtwerke lassen Stromkunden über die Stadtwerke Lemgo beliefern.

Und nicht zuletzt: Fast alle Windparkbetreiber vor Ort zahlen seit geraumer Zeit 1 % ihrer Einspeisevergütung in eine gemeinnützige Stiftung ein. Von diesen mehr als 200.000 Euro Einnahmen pro Jahr konnte Lichtenau eine Bürgerlinie aufbauen. „Bei dem schlechten öffentlichen Nahverkehr hier ist die Verbindung für viele eine echte Erleichterung“, erzählt Hartmann, „die Bürger sehen, dass mit den Windkrafteinnahmen etwas Positives für sie geschaffen wird.“ Als Rentner steuert Hartmann nun selbst ab und zu diesen Bürgerbus. Sein Resümee ist eindeutig: „Eine durchdachte Bürgerbeteiligung ist für mich der einzige Weg, damit es beim Windenergieausbau wieder aufwärts geht.“ Noch, räumt er allerdings ein, sei der „Lichtenauer Weg“ in der Region eine Ausnahme.

Nach den positiven Erfahrungen wie in Coesfeld wird auch die SL Naturenergie in Gladbeck den Fokus Bürgerbeteiligung weiter ausbauen. Geschäftsführer Nitzschke: „Für den Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen wir die Menschen und Gemeinden vor Ort. Sie leisten etwas für den Klimaschutz, dann müssen und sollen sie daran auch partizipieren.“ E&M
 

Ralf Köpke
© 2024 Energie & Management GmbH
Montag, 08.02.2021, 09:36 Uhr

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