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Enerige & Management > Wärmenetz - Postive Halbzeitbilanz
Bild: Fotolia, fefufoto
WÄRMENETZ:
Postive Halbzeitbilanz
Dortmunds Energieversorger DEW21 kommt gut voran bei der eingeleiteten Wärmewende, für die über Jahre hinweg zig Straßenkilometer in der Innenstadt umgebuddelt werden müssen.
 
Für Andreas Hölkemann ist es an diesem Spätherbsttag so eine Art Kontrollgang: „Es sieht hier alles gut aus, mit dem Probebetrieb können wir sicherlich in absehbarer Zeit starten.“ Damit macht er innerlich einen Haken hinter eines seiner derzeit wichtigsten Projekte.

Denn als Leiter für den Anlagenbau gehört Hölkemann zu einem 15-köpfigen Kernteam der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21), das das derzeit größte, langwierigste und teuerste Vorhaben des Unternehmens umsetzt: die Wärmewende − für DEW21 die größte Einzelinvestition in der Unternehmensgeschichte. Das Budget dafür umfasst bis Ende 2022 immerhin rund 120 Mio. Euro, wovon fast ein Drittel aus diversen Fördertöpfen finanziert werden soll. An DEW21 sind die Stadtwerke Dortmund AG (DSW21) mit 60,1 % und (mittlerweile) das Eon-Tochterunternehmen Westenergie AG mit 39,9 % beteiligt.

Ein Baustein für die Wärmewende ist die neue Energiezentrale am westlichen Rand von Dortmunds Innenstadt, in der Hölkemann wenige Tage vor der Inbetriebnahme nach dem Rechten schaut: Nicht nur alle Aggregate inklusive der beiden Kessel mit einer Wärmeleistung von 28 MW sind brandneu, auch das Interieur ist entsprechend aufgeräumt − davon kann man sich auch vor Ort selbst überzeugen, denn eine große Glasfront lädt zum direkten Blick auf die Technik ein.

Was Wärmewende in einer Großstadt wie Dortmund heißt, wird beim Gang um die Energiezentrale sichtbar: Die nächsten mehrstöckigen Wohnhäuser sind keine zehn Meter entfernt. Auch wenn die neue Energiezentrale mit ihrer Aluminiumverkleidung von der Höhe nicht besonders auffällt, hebt sich der Neubau architektonisch deutlich ab: Das Gebäude wirkt wie eine kleine, kompakte Kathedrale. Was fehlt, ist ein Kreuz an der Spitze.
 
Peter Flosbach: „Für uns sind die Gasrußwerke als Wärmelieferant ein Glücksfall“
Bild: DEW21

Auch Peter Flosbach, der in der dreiköpfigen DEW21-Geschäftsführung seit Anfang 2015 als technischer Geschäftsführer für alle Netze und Anlagen zuständig ist, wirkt entspannt an diesem Tag. Seine Halbzeitbilanz für die Umsetzung des neuen Wärmekonzepts fällt positiv aus: „Wir liegen absolut im Zeit- und Budgetplan.“ Genauso erfreulich: „Bislang hatten wir nicht einen einzigen Arbeitsunfall auf unseren Baustellen.“ Immerhin pflügt DEW21 im übertragenen Sinne vom Hafenareal in der Nordstadt bis in den Innenstadtbereich zig Straßenkilometer komplett um.

„Wir liegen absolut im Zeit- und Budgetplan“

Was unvermeidbar ist. Denn Dortmunds Energieversorger hat sein vor vier Jahren entwickeltes Wärmekonzept wegen zwischenzeitlicher politischer Unsicherheiten um das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz drastisch umbauen müssen. Statt von einem halben Dutzend quartiersbezogener Nahwärmelösungen, bei denen gasbefeuerte Blockheizkraftwerke unterschiedlicher Leistungsgrößen eingesetzt werden sollten, kommt das Gros der Wärme künftig von der Deutsche Gasrußwerke KG (DGW), Dortmunds einzig verbliebenem Lieferanten industrieller Abwärme. Die ausgekoppelte Wärmeleistung beträgt künftig immerhin 55 MW.

Gegründet 1938, produziert DGW im Dortmunder Hafen Industrieruße für die Reifen- und Chemieindustrie, in Fachkreisen als Carbon Black bekannt. Als Beimischung beeinflusst dieses schwarze Pulver aus purem Kohlenstoff sowohl die Abriebs- und Rutschfestigkeit als auch die Elastizität bestimmter Reifenteile. Für den Herstellungsprozess von Carbon Black sind Temperaturen bis zu 2.000 Grad Celsius notwendig. Klar, dass bei diesem Temperaturniveau jede Menge Abwärme anfällt.

„Für uns sind die Gasrußwerke, mit denen wir bislang schon im kleinen Umfang kooperiert haben, ein Glücksfall, da wir über Jahre auf gesicherte Abwärme im großen Umfang zurückgreifen können“, erklärt Technikchef Flosbach, „außerdem hebt diese emissionsarme Industrieabwärme unsere Fernwärme auf ein wesentlich nachhaltigeres Niveau an.“ Sorgen, dass die Gasrußwerke der DEW21 eines Tages als Wärmequelle wegbrechen, macht sich Flosbach nicht: „Das internationale Eigentümerkonsortium hat sich zwischenzeitlich klar zum Standort Dortmund bekannt. Darüber hinaus passen die Wärmelieferungen an DEW21 in ihr eigenes Klimaschutzkonzept und es ist eine Win-win-Situation für die kommunale Partnerschaft.“
 
Das neue Dortmunder Wärmenetz im Überblick
Grafik: DEW21

Um bei einer Produktionsunterbrechung auf Nummer sicher zu gehen, haben die Dortmunder ein „Sicherungskonzept“ erarbeitet. An drei Standorten im Bereich der Innenstadt sind Energiezentralen wie die im Westen der City mit gasbasierten Kessellösungen vorgesehen, die größte immerhin mit rund 60 MW Leistung. Flosbach: „Auch wenn die Gasrußwerke rund um die Uhr produzieren, wollen wir für alle Fälle gewappnet sein.“

Wie der Teilprojektleiter Hölkemann ist auch Flosbach froh, nun den Bau von zwei der drei angedachten Energiezentralen abgeschlossen zu haben. Parallel erneuert DEW21 ihr altes, größtenteils in den 1950er-Jahren gebautes Dampfnetz in der Dortmunder Innenstadt. Das neue Heißwassernetz, das mit dem bereits vorhandenen in den nördlichen Stadtteilen zu einem neuen Verbundnetz zusammengeschlossen werden soll, leitet auch den Abschied von der bisherigen gasbasierten Wärmelieferung aus dem Kraftwerk Dortmund mit seiner Gesamtwärmeleistung von 170 MW ein.
 
Die neue DEW21-Energiezentrale steht mitten in einem Wohngebiet
Bild: Ralf Köpke

Alle diese Umbauten, insgesamt müssen rund 22 Trassenkilometer erneuert werden, dauern wohl noch bis Ende 2022. Bis dahin müssen die Autofahrer in Dortmunds Innenstadt immer wieder mit Staus und Verkehrsbehinderungen rechnen. „Um diese unvermeidbaren Beeinträchtigungen so weit wie möglich zu reduzieren, haben wir von Beginn an viel Aufwand in unsere Baustellenkommunikation investiert“, sagt Heike Heim, die im Sommer 2017 von der Energieversorgung Offenbach auf den DEW21-Chefsessel gewechselt ist. Ein netter Nebeneffekt entschädigt Geschichtsinteressierte für die verstopften Straßen: Bei den Tiefbauarbeiten sind zur Freude der Stadthistoriker bereits so manche archäologische Schätze aus dem Mittelalter gefunden worden.

Immer mehr Privatkunden erwärmen sich für die „Echte Wärme“

Ebenfalls viel Arbeit haben die DEW21-Experten in ein anderes Vorhaben investiert, das genauso eng mit der Wärmewende verknüpft ist: Das Energieunternehmen hat seine bisherigen Produkt- und Serviceleistungen im Bereich Wärme kritisch überprüft und komplett neu aufgestellt. Angeregt durch den „Echte Liebe“-Slogan der heimischen Borussen-Kicker bietet DEW21 seit Frühjahr 2019 „Echte Wärme“ an: fünf Produkte mit unterschiedlichen Qualitätsstufen − der Primärenergiefaktor reicht von 0,45 bis 1,3. Erstmals hat ein Kommunalversorger nach Heims Kenntnisstand gegenüber den Kunden auf die klassische Aufteilung zwischen Fern- und Nahwärme verzichtet und Nachhaltigkeit einen Preis gegeben: „Wir betrachten Wärme ganzheitlich und haben es geschafft, eine komplette Wertschöpfungskette aus Kundensicht zu denken.“

Bundesweit sei dieses differenzierte Wärmeangebot „ein neuer Ansatz“, sagt Heim, „weshalb es in der Stadtwerkewelt auf großes Interesse gestoßen ist.“ Weitaus bedeutsamer ist für Heim aber, dass das Wärmequintett auch vor Ort sehr gut ankommt: „Bei den neuen Verträgen haben sich immerhin 80 Prozent der Kunden für unsere grüne Fernwärmevariante mit dem Primärenergiefaktor 0,45 entschieden.“ Zufrieden registriert die DEW21-Chefin auch, dass mit der neuen Qualitätsstruktur zunehmend Privatkunden Wärmeverträge abschließen. Traditionell beliefert DEW21 bislang vor allem die großen Wohnungsgesellschaften in der Stadt mit Wärme. Der Dortmunder Kommunalversorger braucht die daher neue Kundenklientel: Ziel der Geschäftsführung ist es nämlich, den Wärmeabsatz bis Mitte dieses Jahrzehnts um 12 % auf 660 Mio. kWh auszubauen.

Was der DEW21-Bilanz guttun wird. Aber auch der Klimaschutz in Dortmund profitiert von der eingeleiteten Wärmewende: „Die spezifischen CO2-Emissionen in der Stadt sinken zwischen 2017 und 2023 von 255 auf 48 Gramm pro Kilowattstunde und damit um rund 80 Prozent. Umgerechnet auf die gesamte Wärmemenge reduzieren wir in Dortmund nach Abschluss aller Bauarbeiten im Jahr 2023 die jährlichen CO2-Emissionen um 45.000 Tonnen“, hat Heim errechnen lassen. Mit dem ursprünglich angedachten Quartierskonzept wäre nur ein Minus von jährlich etwa 10.000 Tonnen möglich gewesen. Heim: „Mit dem neuen Wärmekonzept entlasten wir vor allem die Dortmunder Innenstadt.“

Bis es soweit ist, müssen noch rund zehn Kilometer neue Fernwärmeleitungen gelegt und die dritte Energiezentrale gebaut werden. Was Teilprojektleiter Andreas Hölkemann nur allzu gut bekannt ist. Zusammen mit seinem Team wartet er auf den Startschuss, um mit der dritten Zentrale loszulegen.
 

Ralf Köpke
© 2024 Energie & Management GmbH
Donnerstag, 28.01.2021, 09:00 Uhr

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