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Enerige & Management > Photovoltaik - Mehr Mieter zur Sonne
Bild: Shutterstock
PHOTOVOLTAIK:
Mehr Mieter zur Sonne
Ob die Mieterstromnovelle 2.0 diesem bislang brachliegenden Segment für die Solarnutzung neue, durchgreifende Impulse verschafft, sehen Branchenexperten kritisch.
 
Was da in Backnang, einer 20.000-Einwohner-Stadt rund 30 Kilometer nordöstlich von Stuttgart, zu Jahresbeginn entstanden ist, liegt in der Immobilienwirtschaft im Trend: ein Mehrgenerationenhaus. Dabei haben die Planer unter anderem an unterschiedlich große altersgerechte Wohnungen, Gemeinschaftsräume, einen großzügigen Gruppenraum, eine Werkstatt und eine Dachterrasse plus einen gemeinsam zu nutzenden Garten mit Spielplatz gedacht.

Sozusagen das i-Tüpfelchen ist eine Solaranlage mit 57 kW Leistung auf dem Dach, mit der die Bewohner der 26 Wohnungen einen großen Teil ihres Strombedarfs decken können. Die Planung und auch den künftigen Betrieb dieser sogenannten Mieterstromanlage hat die Naturstrom AG übernommen.

Das Düsseldorfer Ökostromunternehmen, das zweifellos zu den Pionieren beim solaren Mieterstrom zählt, hat mittlerweile rund 50 Projekte mit zusammen gut 3,8 MW Leistung im Portfolio. Vorstand Tim Meyer kündigte für die kommenden Wochen die nächsten Vorhaben in Duisburg und Nürnberg an: „Wir sind froh, dass die jüngste Novelle für das Mieterstromgesetz einige Verbesserungen gebracht hat, es reicht aber nicht aus, um richtig Schwung zu bringen.“

Diese Einschätzung teilt der Regionalversorger Mainova, mit nach eigenen Angaben über 300 Projekten (Gesamtleistung: 6,7 MW) wohl der größte kommunale Mieterstromanbieter. „Insgesamt bleibt die Weiterentwicklung des Mieterstroms hinter unseren Erwartungen zurück. So fehlt weiterhin eine Ausweitung des Mieterstrommodells insbesondere auf Gewerbedächer und andere Nicht-Wohngebäude in räumlichem Zusammenhang mit dem Wohnbereich“, heißt es auf E&M-Anfrage aus Frankfurt.

Ähnlich verhalten fällt die Bewertung von Florian Bieberbach, in München Chef des bundesweit größten Stadtwerks, aus: „Das Mieterstrommodell ist zwar attraktiver geworden, aber für die meisten Hausbesitzer immer noch zu umständlich. Auch wenn man noch mehr daran herumschraubt, wird es nie den nötigen Solar-Boom in den Städten bewirken.“

In der Tat haben die schwarz-roten Regierungsfraktionen bei der wenige Wochen zurückliegenden Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auch an den Mieterstromregelungen rumgeschraubt. So können nun beispielsweise bei Quartierslösungen mehrere solare Dachkraftwerke mit einer Leistung bis insgesamt 750 kW den − leicht verbesserten − Mieterstromzuschlag erhalten. Dieser Bonus liegt nun je nach Anlagengröße zwischen 2,37 und 3,79 Cent je kWh. Noch eine nicht unwichtige Neuerung gibt es beim sogenannten Lieferkettenmodell: Um den Mieterzuschlag zu erhalten, müssen Vermieter, die die Photovoltaikanlagen betreiben, nicht mehr selbst zum Energiedienstleister werden.

All diese neuen Bestimmungen seien sicherlich Fortschritte, meint Udo Sieverding. „Das Mieterstromgesetz ist aber weiterhin noch viel zu komplex, weil das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur die wirklich bahnbrechende Änderung wie der Teufel das Weihwasser scheuen: Der Mieterstrom müsste unter die Eigenverbrauchsregelungen fallen“, sagt der Energie-Abteilungsleiter bei der Verbraucherzentrale NRW.

Vieles beim Mieterstrom erinnert an „vermurksten“ Smart Meter Rollout

Diese Änderung, das weiß Sieverding zu genau, würde einiges in der heimischen Energielandschaft und bei der Förderpolitik für erneuerbare Energien kräftig ins Rutschen bringen. Sein konsternierendes Zwischenfazit: „Die Leidensgeschichte beim Mieterstrom in den letzten fünf Jahren wird derzeit nur vom vermurksten Smart Meter Rollout übertroffen und ist in der Engstirnigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums bei diesem Thema durchaus vergleichbar.“ Das Prozedere sei viel zu bürokratisch, kompliziert und inflexibel.

Groß war die Hoffnung, als die Bundesregierung im Frühjahr 2017 zum Ende der damaligen Legislaturperiode die langersehnte Mieterstromregelung auf den Weg brachte. „Mit der Förderung von Mieterstrom bringen wir die Energiewende in die Städte und beteiligen die Mieter an der Energiewende“, ließ Brigitte Zypries (SPD), damals interimsmäßig für ein paar Monate Bundeswirtschaftsministerin, vollmundige Sätze verlautbaren. Auch von einer Demokratisierung der Energiewende ist in jenen Tagen oft die Rede gewesen. 

Die Förderung von jährlich 500 MW solaren Mieterstromprojekten sah das 2017er-Gesetz vor. Wenn bis Ende vergangenen Jahres insgesamt 100 MW zusammengekommen sind, dürfte die Gesamtleistung schon großzügig gerundet sein. Damit ist die Energiewende in den Städten und Gemeinden jedenfalls noch nicht angekommen, besagt auch ein jüngste Studie von EuPD Research von Anfang April: Danach sind 89 % der für die Solarenergienutzung infrage kommenden Flächen und Dächer ungenutzt.

Zahlen, die auch den Sozialdemokraten bekannt sind. Da das Thema Mieterstrom Sozial- und Klimapolitik ideal kombiniert, hatten Vertreter ihrer Bundestagsfraktion es mit erheblichem Einsatz geschafft, kurz vor Ende der Legislaturperiode endlich das erste Mieterstromgesetz durchzusetzen. Mit dem damaligen wie auch dem jüngsten Ergebnis ist Klaus Mindrup, einer der Väter der Mieterstromregelung, aber nicht zufrieden.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete aus dem Berliner Osten spricht von einer „Blockade“, für die er vor allem das Bundeswirtschaftsministerium und Teile der Unionsfraktion verantwortlich macht. „Ob bei der personellen Neuaufstellung der CDU/CSU für die Energiepolitik Besserungen eintreten, muss abgewartet werden“, betonte Mindrup gegenüber E&M, „Zweifel daran bleiben aber.“ Dass das Regierungsbündnis vor der anstehenden Bundestagswahl im September noch einmal anpackt, gilt auf dem Berliner Parkett als unwahrscheinlich.

Mehr Wohungsgesellschaften werden eigene Solar-Projekte betreiben

Immerhin hat sich Schwarz-Rot vor Ostern auf eine Gewerbesteuerbefreiung verständigt, wenn Wohnungsunternehmen demnächst ihren Mietern selbst Solarstrom aus eigenen Anlagen anbieten. „Diese Änderung, die wohl noch bis zum Sommer in Kraft tritt, ist außerordentlich positiv“, betont Alexander Rychter, Direktor des Verbands der Wohnungswirtschaft Rheinland Westfalen, „darauf haben wir seit 2017 gewartet.“ Denn auch die Wohnungswirtschaft müsse das nationale Klimaziel unterstützen: „Mieterstrom ist ein Baustein, der dazu beitragen wird.“ Er geht davon aus, dass künftig mehr Wohnungsgesellschaften solare Mieterstromanlagen betreiben werden.

Differenzierter beurteilt Sebastian Lammers die neue Regelung, die er als „Schritt in die richtige Richtung“ wertet. Beim vom Energiekonzern Engie Ende 2017 gegründeten Tochterunternehmen Solarimo mit Schwerpunkt solarer Mieterstrom leitet er die Abteilung Wohnungswirtschaft und Kommunen: „Die meisten Wohnungsunternehmen werden auch in Zukunft wohl immer noch nicht zum Energieversorger werden, da der Aufwand sehr hoch bleibt und der Stromverkauf nicht das Kerngeschäft dieser Unternehmen ist.“

Wobei es Ausnahmen wie beispielsweise Deutschlands größten Wohnungskonzern Vonovia gibt. „Wir werden das Geschäftsfeld Photovoltaik stark ausbauen“, kündigte Vorstandschef Rolf Buch auf der Onlinehauptversammlung des Dax-Konzerns Mitte April an. 2019 hatte Vonovia ein „1.000-Dächer-Programm“ ausgerufen: Jährlich sollen auf 1.000 der insgesamt rund 50.000 Dächer des Unternehmens Solarkraftwerke errichtet werden. Mittlerweile erzeugen die auf den ersten 1.350 konzerneigenen Gebäuden installierten Solarmodule rund 15 Mio. kWh Ökostrom.

Verbraucherschützer Udo Sieverding freut sich über diese Aktivitäten: „Dem Mieterstrom kann es nur guttun, wenn die Energieversorger Konkurrenz aus der Immobilienwirtschaft bekommen.“ Sollte das zu keiner Belebung führen, empfiehlt er, das Mieterstromgesetz „komplett neu“ zu schreiben. Einen entsprechenden Wahlausgang vorausgesetzt, könnte das nach dem 26. September möglich werden.
 
 

Susanne Harmsen und Ralf Köpke
© 2024 Energie & Management GmbH
Mittwoch, 12.05.2021, 09:06 Uhr

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