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Enerige & Management > Windkraft Onshore - Wie falsche Infraschall-Werte die Stimmung vergifteten
Bild: psdesign1 / Fotolia
WINDKRAFT ONSHORE:
Wie falsche Infraschall-Werte die Stimmung vergifteten
Nachdem die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe einen dicken Fehler in einer viel zitierten Studie eingeräumt hat, hofft die Windbranche auf eine sachlichere Debatte.
 
Diesen Klops hatte sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zwar nicht persönlich geleistet − und doch sah er sich am Ende zu einer öffentlichen Entschuldigung genötigt. Denn die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die seinem Hause untersteht, musste einräumen, in einer Studie zu Infraschallbelastungen von Windkraftanlagen einen schwerwiegenden Rechenfehler gemacht zu haben. Politisch brisant ist die Sache, weil die Kalkulationen seit Jahren als Gegenargument an Windkraftstandorten genutzt wurden. Und brisant ist auch, dass die BGR lange nichts von dem Rechenfehler wissen wollte, obwohl dieser Fauxpas seit einem ganzen Jahr schon im Raum stand.

Die Geschichte nahm ihren Lauf im März 2020. Stefan Holzheu, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bayreuth und dort mit Sensordatenerfassung betraut, beschäftigte sich aus Anlass eines Windprojekts in seiner Region mit den Modellrechnungen der BGR − und fing an zu zweifeln. Denn während die BGR-Forscher Lars Ceranna und zwei Kollegen im Umfeld einer Windkraftanlage Infraschallwerte von mehr als 100 Dezibel ermittelt hatten, kamen andere Institutionen, speziell die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW), auf deutlich niedrigere Werte. Und „deutlich“ bedeutete hier: drei bis vier Zehnerpotenzen. Also nichts, was man als Messungenauigkeit abtun konnte.
 
Windenergieanlagen wie hier im westfälischen Haltern-Sythen sind keine „Infraschallschleudern“
Bild: Baywa Re

Diese Differenz ließ Naturwissenschaftler Holzheu nicht ruhen, er begann zu recherchieren und zu rechnen. Weil seine Berechnungen Werte ergaben, die den niedrigen Zahlen der LUBW entsprachen, nahm er Kontakt zur BGR auf. Doch was ein sachlicher Diskurs unter Wissenschaftlern hätte werden können, endete damit, dass die BGR nur „ausweichende Antworten“ gab, wie Holzheu berichtet. Daraufhin eröffnete er im April 2020 eine öffentliche Wissenschaftsdebatte über die Infraschallwerte, indem er eine „Diskussionsseite zur Klärung eines wissenschaftlichen Sachverhalts“ ins Netz stellte. Die fachliche Diskussion begann in der Tat, nur die BGR-Verantwortlichen sperrten sich weiterhin.

Die BGR-Verantwortlichen sperrten sich viel zu lange
 
Selbst als Holzheu um den Jahreswechsel mit Bezug auf das Informationsfreiheitsgesetz die Rohdaten der BGR bekommen hatte und somit den Rechenfehler öffentlich dokumentieren konnte, rückte die BGR von ihren Zahlen noch nicht ab. Die Behörde verwies stur darauf, dass ihre Ergebnisse einen sogenannten Peer-Review-Prozess eines Fachjournals durchlaufen hätten − ein übliches Verfahren zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Arbeit.

Erst als die Debatte auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt erreichte und deren Experten die Holzheu-Kalkulationen bestätigten, rückte die BGR von ihren unhaltbaren Zahlen ab. Etwas verschämt räumte sie nun ein, „einen systematischen Fehler“ gemacht zu haben: Die veröffentlichten Schallwerte seien um „36 Dezibel zu hoch“ gewesen. Da die Skala logarithmisch ist − das heißt: zehn Dezibel mehr bedeuten eine Verzehnfachung −, beläuft sich der Fehler auf einen Faktor von mehreren Tausend. Das entsprach ziemlich genau den Berechnungen von Stefan Holzheu, der stets von einem „schwerwiegenden Rechenfehler“ gesprochen und dieses „Gap“ bereits frühzeitig „auf einen Faktor 1.000 bis 10.000“ beziffert hatte.

Ausgerechnet diese fehlerhafte Studie aus dem Jahr 2005 hat großen Anteil daran, dass der Infraschall im Zusammenhang mit Windkraftanlagen populär werden konnte. Windkraftgegner warnten seither immer wieder vor dem − vermeintlich so intensiven − nicht hörbaren Schall (dessen Frequenz unterhalb von 16 bis 20 Hertz liegt) und dessen Gefahren für die Gesundheit. Infraschall entsteht indes auch in der Natur, etwa durch Windböen.

Doch was bedeutet das Eingeständnis der BGR nun für die Windkraft? Formal wenig. Die fehlerhaften Berechnungen hätten „in Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen keine Rolle gespielt“, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer von den Grünen. Auch verwies das Ministerium darauf, dass „mögliche Auswirkungen der lnfraschallemissionen auf den menschlichen Organismus nicht Gegenstand dieser Untersuchungen“ waren.

Die Studie sei gleichwohl „leider oft von Bürgerinitiativen angeführt“ worden, um „fälschlicherweise daraus eine Gefahr von Infraschall von Windenergieanlagen für den menschlichen Organismus abzuleiten“. So dürfte die Akzeptanz für Windprojekte mancherorts auf Basis falscher Zahlen ungerechtfertigt gelitten haben.

„Kaufen können wir uns für die Entschuldigung nichts“
 
Mit der Klarstellung durch die BGR herrscht nun verhaltene Zufriedenheit in der Windbranche. Es sei gut, dass der Rechenfehler endlich korrigiert wurde, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie (BWE). Die falschen Zahlen hätten über Jahre hinweg „die Diskussionen in konkreten Projekten stark belastet und emotionalisiert“. Die BGR-Werte hätten „auch in der Abstandsdebatte immer wieder als Hilfsargument“ gedient.

Weil aber der Infraschall in Genehmigungsverfahren rein formal keine Rolle spielt, ist schwer abzuschätzen, was die falschen Zahlen tatsächlich bewirkt haben. Vermutlich sei „kein einziger Windpark ausschließlich wegen dieser einen Falschmeldung gestorben“, vermutet Alexander Koffka, der zur Geschäftsleitung der Abo Wind AG gehört. Dennoch seien die Auswirkungen groß gewesen: „Insbesondere in Deutschland, in einzelnen Fällen auch im europäischen Ausland, ist die BGR-Studie mit Erfolg instrumentalisiert worden, um gegen Windkraftprojekte Stimmung zu machen.“

Die Behörde habe, so Koffka, „aus der Infraschall-Mücke einen Elefanten gemacht und damit wesentlich dazu beigetragen, Menschen zu verunsichern und die Stimmung im Zusammenhang mit Windkraftplanungen zu vergiften“. Es bedürfe nun großer Anstrengungen und werde lange dauern, das wieder zu korrigieren. So glaube er auch nicht, dass nun auf einen Schlag alles besser werde, betonte Koffka gegenüber E&M. Zumal es noch immer „viele ähnlich fatale Vorurteile“ gebe, „die seit Jahren dazu beitragen, dass viel zu selten Windparks genehmigt werden“.

Mit seiner Einschätzung ist der Abo-Wind-Mann nicht allein in der Windbranche. Schon immer sei der Infraschall „ein zentrales Thema“ bei allen Projekten der Ostwind AG gewesen, sagt Unternehmenssprecher Christoph Markl-Meider. So seien „erhebliche Zweifel gesät“ worden. Ebenso wie er hofft auch Felix Wächter von der Juwi AG, dass sich demnächst die Diskussion um Schall und Infraschall wieder versachlichen wird. Gleichwohl, so Wächter, sei zu befürchten, dass es auch weiterhin Menschen geben wird, die an negative Wirkungen durch Infraschall glauben.

Ein wenig Skepsis äußert auch BWE-Geschäftsführer Axthelm. Zwar sei die Entschuldigung von Altmaier „ehrenwert“. Allerdings: „Kaufen können wir uns davon nichts.“
 

Bernward Janzing
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Mittwoch, 02.06.2021, 09:45 Uhr

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