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Enerige & Management > Politik - Zielerreichung ungewiss
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POLITIK:
Zielerreichung ungewiss
EEG 2021: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier spricht von einem „Zukunftssignal“. Experten kritisieren hingegen die „unrealistischen Vorgaben“ aus seinem Haus.
 
Er ist immer dabei gewesen, bei den Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Seitdem dieses Grundgesetz für die grünen Energien erstmals im April 2000 in Kraft trat, hat Hermann Albers fünf weitere Novellen sowie die 38 damit verbundenen Änderungsgesetze miterlebt und -erlitten. Daher kann der mittlerweile 60-jährige Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE) die nächste, für Anfang 2021 anstehende EEG-Änderung fundiert einordnen: „Der bislang vorliegende Kabinettsbeschluss ist kein großer Wurf, allenfalls ein Reparaturgesetz. Gemessen an den Anforderungen des Klimawandels setzt es die falschen Impulse.“

Es verwundert nicht, dass der zuständige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) das nach wie vor ganz anders sieht: „Die EEG-Novelle 2021 setzt ein klares Zukunftssignal für mehr Klimaschutz und erneuerbare Energien.“ Nach dem Kohleausstiegsgesetz sieht nun auch das neue EEG das 65-%-Ökostromziel bis 2030 vor − da, wo es auch hingehört.

Dass es auf dem Weg dahin im präzisierten Paragraf 4 ein festes Mengen- und Zeitgerüst für den weiteren Ökostromausbau gibt, wertet Michael Class als „echten großen Schritt nach vorn“. Für den Vorstandschef der Juwi AG, vollständig im Besitz der Mannheimer MVV Energie AG, hätten diese Schritte „deutlich ambitionierter“ ausfallen müssen. Was auch Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht so sieht. Für den Energiejuristen gibt es ein grundsätzliches Problem: „Zwar ist es schön, dass die Zwischenziele für das 2030er-Ziel nun etwas transparenter geworden sind. Wie valide die Annahmen sind, die das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi; d. Red.) für den Stromverbrauch bis Ende dieser Dekade getroffen hat, wissen wir nach wie vor nicht.“

Womit Müller die größte Schwachstelle des EEG-Entwurfs benennt: Altmaiers Fachabteilung geht für das Jahr 2030 in etwa vom gleichen Stromverbrauch wie heute aus - von gut 580 Mrd. kWh. Was Fachleute für unrealistisch halten. Zu Beginn dieses Jahres vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln vorgelegte Berechnungen erwarten einen Bruttostromverbrauch von 748 Mrd. kWh, also einen knapp um 30 % höheren als von den BMWi-Strategen angenommen. „Zentrale Treiber für den Anstieg sind die wachsende Anzahl von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen“, begründete EWI-Studienautor Max Gierkink das deutliche Plus, „weiterhin gewinnt die Produktion von grünem Wasserstoff mithilfe des [stromintensiven] Elektrolyseverfahrens an Bedeutung.“

Unrealistische Stromprognose aus dem Hause Altmaier

Klare Aussage aus der Dom-Stadt: Altmaier verfehlt deutlich das 65-%-Ziel. Dass seine Energiefachabteilung die Erkenntnisse aus Köln beim EEG-Entwurf unberücksichtigt gelassen hat, verwundert schon: Das EWI zählt zu den Haus- und Hof-Instituten des Bundeswirtschaftsministeriums.

Auch Thorsten Lenck, Fachmann für erneuerbare Energien bei Agora Energiewende, hält die BMWi-Stromprognose für 2030 für „unrealistisch“ und erwartet für die erhoffte 65-%t-Quote „eine klare Zielverfehlung“: „So groß können in den kommenden Jahren die Effizienzgewinne im Stromsektor gar nicht ausfallen, dass damit der steigende Strombedarf durch die Sektorkopplung und die zunehmende Grünstromnachfrage aus der Industrie kompensiert werden kann.“ Lenck und sein Team erwarten in ihren „eher sehr konservativ berechneten Szenarios“, dass Ende dieser Dekade bundesweit etwa 650 Mio. kWh verbraucht werden.

Was das für das 65-%-Ziel heißt, ergibt sich mehr oder weniger durch einen Dreisatz: nämlich jeweils mindestens 145.000 MW Solarleistung, 80.000 MW bei der Windkraft an Land und 25.000 MW bei der Windkraft auf See. Reicht das? Mitnichten. Mit dem europäischen Green Deal wären das Erneuerbare-Ziel 2030 und der Ausbaupfad im jetzigen EEG-Entwurf veraltet und müssten nach oben angepasst werden.
In der Tat kommen die Bundesregierung und Wirtschaftsminister Altmaier spätestens dann an einer Korrektur nicht vorbei, wenn sich in Brüssel Kommission, Regierungschefs und Parlament auf das neue EU-Klimaschutzgesetz verständigt haben. Um mindestens 55 % statt bislang um 40 % will EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen die Treibhausgasemissionen bis 2030 reduzieren, das Parlament sogar um 60 %. Egal, welche Zahl demnächst im Brüsseler Klimagesetz steht, die Konsequenz steht fest: Altmaier muss die EEG-Ziele nachbessern.

Was für seine Kabinettskollegin Svenja Schulze (SPD) so sicher ist wie das Amen in der Kirche: „Ich gehe davon aus, dass wir mindestens 75 Prozent Ökostromanteil bis 2030 brauchen, vielleicht sogar 80 Prozent“, sagte die Bundesumweltministerin Mitte Oktober. 

Geänderter Paragraf 51 als Damoklesschwert

Spätestens mit der Überarbeitung sollten nach Einschätzung von Professor Uwe Leprich mehrere Paragrafen nachgeschärft werden: „Mit dem beschlossenen Aus der Atom- und Kohlekraftwerke in den kommenden Jahren ist klar, dass die künftige Energieerzeugung viel dezentraler sein wird. Was sich im Gesetz nicht wiederfindet“, kritisiert der Energieökonom von der Saarbrücker Hochschule. So gebe es nur minimale Erleichterungen für eine höhere Selbstversorgung mit dezentral erzeugtem Grünstrom. Und dass künftig bereits Photovoltaikanlagen ab einer Größe von 500 kW (bislang 750 kW) ein Ausschreibungsverfahren durchlaufen müssen, ist für Leprich „absolut unverständlich und leistet einer völlig unnötigen Bürokratie Vorschub“: „Diese Regelung wird vor allem im wichtigen Gewerbe- und Industriesegment Investitionen blockieren, die zuletzt einer der Treiber des Solaraufschwungs gewesen sind.“

Das befürchtet auch Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht mit Blick auf die neue Regelung zu negativen Strompreisen in Paragraf 51: „Wenn es demnächst bereits ab der ersten Stunde negativer Strompreise keine Vergütung mehr geben sollte, dürften das die Investoren neuer Windparks bei ihren Finanzierungsgesprächen mit den Banken deutlich zu spüren bekommen.“ BWE-Präsident Albers setzt noch einen drauf: „Die neue Paragraf-51-Regelung konterkariert die wenigen positiven Ansätze in der Novelle wie die Südquote bei den künftigen Ausschreibungen, die Abschaffung des Netzausbaugebiets im Norden und die erstmalige Berücksichtigung von 60-Prozent-Standorten.“

Daran, dass mit der Novelle der ohnehin gestutzte Windkraftausbau an Land von 71.000 MW bis 2030 realisiert werden kann, hat der gebürtige Nordfriese „ganz viele Zweifel“. Die Windenergie sei „alles andere als ein Gewinner“ bei der Reform, was auch die ungewisse Zukunft vieler Ü20-Windturbinen zeige − das sind die Pionieranlagen, die ab Beginn kommenden Jahres keine EEG-Vergütung mehr erhalten. Recht gibt ihm eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft zum EEG-Kabinettsentwurf, in dem es heißt: „Bis 2030 wird Deutschland netto sogar ein Drittel weniger Windräder aufstellen als in den vergangenen zehn Jahren.“ Ein Aufschwung erneuerbarer Energien sieht anders aus.

Fraglich ist derzeit auch, ob das neue, für 2030 geplante Ausbauziel von 20.000 MW bei der Offshore-Windenergie erreicht wird. Seit Wochen kann sich die Große Koalition nicht auf eine Reform des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) einigen: „Ohne dieses Gesetz kann das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie keine zusätzlichen Flächen ausweisen, die für das 20.000-Megawatt-Ziel notwendig sind“, verweist Stefan Thimm vom Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore auf die Konsequenzen.

Johann Saathoff kennt dieses Dilemma. Der Energieexperte in den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion drängt auf Tempo. Wenn Ende November Bundestag und Bundesrat die EEG-Novelle verabschieden, soll es nach ihm auch um das Windenergie-auf-See-Gesetz gehen. Bis dahin, so Saathoff, stehen „uns noch intensive Verhandlungen mit der Union“ bevor: „Was wir bislang vorliegen haben, ist für das Erreichen der Pariser Klimaziele zu wenig.“
 

Ralf Köpke
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Sonntag, 01.11.2020, 16:21 Uhr

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