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Enerige & Management > Wasserstoff - "Die Industrie braucht grünen Wasserstoff"
Bild: Fotolia
WASSERSTOFF:
"Die Industrie braucht grünen Wasserstoff"
BET hat ein Impulspapier Wasserstoff vorgelegt und kommt zu dem Schluss: Die Wasserstoffwirtschaft braucht mehr Erneuerbare. Ein Gespräch mit Olaf Unruh und Sebastian Seier.
 
E&M: Herr Unruh, Herr Seier, inwieweit ist Ihre Studie über die Verwendungsmöglichkeiten von Wasserstoff in NRW mit einer Reihe von Handlungsempfehlungen auf die gesamte Bundesrepublik übertragbar?

Unruh: Wir haben natürlich einen sehr starken Fokus auf NRW gelegt, weil hier die Industrie, die als Abnehmer von Wasserstoff infrage kommt, besonders stark vertreten ist. Dazu gehört beispielsweise die Stahl- und Chemieindustrie. Aber die grundsätzlichen Aussagen und Handlungsempfehlungen haben bundesweit Gültigkeit.

Seier: Neben der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung hat mittlerweile auch eine Reihe von Bundesländern eigene Roadmaps entwickelt. Daran kann man ablesen, wer für sich schon Chancen erkannt hat und wer bei dem Thema noch zögerlich ist. Die Relevanz und der Erfolg dieser Aktivitäten stehen und fallen allerdings mit den flankierenden Maßnahmen auf Bundesebene.
 
„Es kommt auf die politische Weichenstellung an“
 
E&M: Um welche geht es dabei?

Seier: Wir haben eine Metaanalyse durchgeführt, die zu einem deutlichen Ergebnis geführt hat: Erst wenn wir auf ein CO2-Reduktionsszenario mit mindestens 95 Prozent einschwenken, werden wir signifikante Mengen an Wasserstoff brauchen. In Szenarien mit deutlich weniger CO2-Reduktion wird Erdgas als konventioneller Energieträger mit den geringsten spezifischen CO2-Emissionen ausreichen, um die erforderliche Emissionsreduktion zu erreichen. Es kommt also auf die politische Weichenstellung an.

Unruh: Aber um wirklich klimaneutral zu werden, brauchen wir unbedingt grünen Wasserstoff. Er ist vor allem ein Puzzleteil zur Vollendung der Energiewende. Gleichzeitig muss man bedenken, dass die vorhandenen und geplanten regenerativen Erzeugungskapazitäten bei Weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Deshalb muss der Ausbau der Erneuerbaren erweitert und beschleunigt werden. Sonst werden wir gar keine Chance haben, hierzulande genügend grünen Wasserstoff zu produzieren.

E&M: Die Bundesregierung hat schon vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass der Import von Wasserstoff notwendig sein wird.

Unruh: Das ist richtig. Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, mit Bundesforschungsministerin Karliczek zu sprechen. Da hat sie auch ganz deutlich gesagt, dass es die vordringliche Aufgabe der Bundesregierung ist, internationale Lieferketten aufzubauen. Die brauchen wir eben auch. Nur ein Mix aus eigener Herstellung und aus Import wird die erforderlichen Mengen gewährleisten. Dafür müssen wir das inländische Produktionspotenzial maximal ausschöpfen.

E&M: Um welche Mengen geht es?

Seier: Die Bundesregierung veranschlagt den stofflichen und energetischen Bedarf an Wasserstoff im Jahr 2030 mit 90 bis 110 Terawattstunden. Bis dahin sollen fünf Gigawatt an Elektrolysekapazität aufgebaut werden, für die allein aber schon 18 Terawattstunden an erneuerbarem Strom notwendig sind. Bei einem CO2-Reduktionsziel von 95 Prozent im Jahr 2050 wird dann der Wasserstoffbedarf auf über 700 Terawattstunden steigen. Die eigene Produktion lässt sich möglicherweise noch auf rund 150 Terawattstunden steigern. Es müssten dann aber deutlich mehr als 500 Terawattstunden importiert werden.

E&M: Dafür benötigt man auch eine Infrastruktur − eine eigene Infrastruktur. Wir sprechen nicht über eine Beimischung im Erdgasnetz, oder?

Unruh: Die Fernleitungsnetzbetreiber arbeiten schon intensiv am Konzept eines europäischen ‚Hydrogen Backbone‘, das uns bis 2050 zur Klimaneutralität verhelfen soll. Hier geht es vor allem um die Umwidmung bisheriger Erdgasnetze. Eine Beimischung wäre aus wirtschaftlicher Sicht überhaupt nicht rational, ganz abgesehen von den ohnehin dafür bestehenden regulatorischen Beschränkungen. Es würde keinen Sinn ergeben, das edle und rare Gut Wasserstoff mit der vergleichsweise billigen Commodity Erdgas zu vermengen.
 
Wir werden Wasserstoff aber auch im Fernwärmesektor brauchen“
 
E&M: Das bedeutet also: Die stoffliche Bereitstellung für die Industrie sollte Priorität haben.

Unruh: Genau. Die Industrie braucht grünen Wasserstoff, um nachhaltige Produkte für den Weltmarkt produzieren zu können. Außerdem zeigen unsere Metaanalysen, dass wir bestenfalls erst 2040 so viel Wasserstoff zur Verfügung haben werden, um auch Raumwärme damit zu erzeugen.

E&M: Spielt die Rückverstromung von Wasserstoff noch eine Rolle?

Seier: Die Rückverstromung spielt im Zusammenhang mit der saisonalen Speicherung eine Rolle. Im Mix der Stromspeichertechnologien spielt Wasserstoff nach unserer Meinung sogar eine sehr wichtige Rolle. Wir werden Wasserstoff aber auch im Fernwärmesektor brauchen. Denn Biomasse, Solarthermie oder Geothermie werden sicher nicht hundertprozentige Versorgungssicherheit garantieren können. Und nicht zuletzt könnten auch der Fernverkehr auf der Straße und der Schiffsverkehr weitgehend auf Wasserstoff umgestellt werden.

E&M: Wie sehen die Planungen für das Wasserstoffnetz hierzulande aus?

Seier: In der anstehenden EnWG-Novelle sind die Anforderungen zur Erstellung eines Netzentwicklungsplans Wasserstoff aufgeführt. Bis zum 1. April 2022 sollen die Netzbetreiber einen Bericht zum Stand des Wasserstoffnetzes vorlegen. Auf der Basis gibt die Bundesnetzagentur dann Empfehlungen zur Erstellung eines verbindlichen ‚NEP H2‘ mit dem Zieljahr 2035. In der Regel beziehen sich die Netzentwicklungspläne beim Strom und Gas auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Deshalb kann man davon ausgehen, dass spätestens 2024 der entsprechende Szenariorahmen zu entwickeln ist und 2025 dann der Netzentwicklungsplan Wasserstoff 2025−2035 vorgelegt wird.
 
Inländische Produktion und Import von Wasserstoff in Abhängigkeit vom CO2-Reduktionsziel
Auffällig ist, dass Szenarien, in denen lediglich eine 80-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen erreicht wird, mit signifikant weniger Wasserstoff auskommen als Szenarien mit 95-prozentigem Reduktionsziel
Quelle: BET


E&M: Das sind noch vier Jahre. Der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft ist aber doch eine drängende Angelegenheit.

Seier: Bis dahin können die Fernleitungsnetzbetreiber auf Prognosen und Planungen zurückgreifen, die sich bereits im Netzentwicklungsplan 2020−2030 Gas befinden und kontinuierlich fortgeschrieben werden.

E&M: Zu Ihren Handlungsempfehlungen gehört auch die Mahnung, rechtzeitig Märkte für Wasserstoff aufzubauen und den Handel anzuschieben. Können Sie sich einen börslichen Wasserstoffhandel vorstellen?

Unruh: Ja, aber dafür muss Wasserstoff zu einer Commodity und klar definiert werden. Das ist eine Grundvoraussetzung, um Liquidität in den Markt und ein verlässliches Preissignal zu bekommen. Es ist denkbar, dass es eine Standardisierung nach physikalischen Kriterien geben wird. Etwa nach dem 5.0-Standard, der besagt, dass es sich um 99,999 Prozent reinen Wasserstoff handelt. Das kann aber auch blauer oder türkisfarbener Wasserstoff sein. Die ‚grüne‘ Eigenschaft könnte dann mit Herkunftsnachweisen belegt werden − wie beim Strom.
 
„Der Wasserstoffmarkt wird sich global entwickeln“
 
E&M: Das müsste dann aber ein europäischer Markt sein.

Unruh: Wir brauchen auf jeden Fall einen europäischen Markt mit einheitlichen Standards. Das wird auch in Brüssel diskutiert. Ich bin aber überzeugt, dass sich der Wasserstoffmarkt global entwickeln wird − allerdings nur dann, wenn es auch einen weltweiten Standard gibt. Darauf muss die EU ebenfalls hinarbeiten.

Mehr Erneuerbare nötig

Im Auftrag der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen hat BET in einer Studie die Möglichkeiten untersucht, Wasserstoff als Energieträger und in nicht energetischer Verwendung als Rohstoff für die Wirtschaft in dem Bundesland nutzbar zu machen.Die Autoren mahnen, für eine Dekarbonisierung der Wirtschaft müssten die Ausbauziele des EEG 2021 den durch die Wasserstoffproduktion bedingten zusätzlichen Bedarf an regenerativ erzeugtem Strom berücksichtigen. Folglich müsse der zugrunde liegende Strommengenpfad „deutlich“ erhöht werden.
Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass nicht ganz emissionsfreie Lösungen für einen schnellen Markthochlauf der Wasserstoffanwendungen notwendig sind, etwa die Nutzung des kostengünstig verfügbaren Wasserstoffs, der als Nebenprodukt der chemischen Industrie anfällt. Zudem plädieren sie für einen ergebnisoffenen politischen und gesellschaftlichen Dialog über die Produktion von sogenanntem blauem Wasserstoff.
Die Autoren haben insgesamt zehn Handlungsfelder identifiziert, die einen Markthochlauf von Wasserstoff unterstützen.
 Olaf Unruh ist Geschäftsführer des Beratungshauses BET. Der Diplom-Physiker ist Doktor der Ingenieurswissenschaften und hat 1995 an der RWTH Aachen über solare Wasserstoffherstellung promoviert.
 
Olaf Unruh
Bild: BET


Sebastian Seier studierte Politik- und Europawissenschaften und arbeitet seit 2017 bei BET mit dem Schwerpunkt Strategieentwicklung und Innovationsmanagement.
 
Sebastian Seier
Bild: BET


 
 
 

Fritz Wilhelm
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Mittwoch, 16.06.2021, 12:04 Uhr

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