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Enerige & Management > Elektrofahrzeuge - Speicher auf Rädern
Bild: Jonas Rosenberger
ELEKTROFAHRZEUGE:
Speicher auf Rädern
Die Zahl an Elektrofahrzeugen wird in den nächsten Jahren stark ansteigen. Damit einher geht ein wachsendes Speicherpotenzial, das vielfältig genutzt werden könnte.
 
Im vergangenen Jahr war die Zahl der neu zugelassenen Autos mit reinem Elektroantrieb so hoch wie nie zuvor. Für 2020 stehen beim Kraftfahrtbundesamt 194.163 Fahrzeuge zu Buche. Wie rasant die Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit war, zeigen die Sprünge von 2018 (36.062 Fahrzeuge) auf 2019 (63.281 Fahrzeuge) und dann auf 2020. Nach den ersten vier Monaten 2021 zeichnet sich angesichts 88.510 neu zugelassener Elektrofahrzeuge ab, dass zwar die Zuwachsrate für das laufende Jahr insgesamt etwas geringer ausfallen wird, die Marke von 250.000 aber deutlich übertroffen werden dürfte.

In einer Untersuchung am Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe (ISEA) der RWTH Aachen haben Christopher Hecht, Jan Figgener und Prof. Dirk Uwe Sauer sich das Speicherpotenzial der bundesweiten E-Autoflotte einmal näher angesehen. Nach Erkenntnissen der Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik beträgt die Batteriekapazität allein der 2020 neu zugelassenen Fahrzeuge insgesamt rund 9 Mio. kWh. Dies sei fast ein Viertel der in Deutschland installierten Pumpspeicherkapazität.
 
Integration ins Stromsystem über bidirektionales Laden
 
„Das ist ein gewaltiges Potenzial, das bisher nicht genutzt wird“, sagt Hecht. Dass dieses Potenzial nicht nur ein theoretisches ist, sondern auch tatsächlich zur Verfügung steht, belegen laut Figgener mittlerweile mehrere Mobilitätsstudien. So weist der letzte Ergebnisbericht der Studie „Mobilität in Deutschland“ beispielsweise aus, dass private E-Autos rund 97 % der Zeit stehen und nur in 3 % der Zeit tatsächlich fahren.

Der Weg zur Integration der Elektromobilität in das Stromsystem führt zwangsläufig über das bidirektionale Laden. Dieses kommt beim sogenannten Vehicle-to-Home zum Tragen, wenn das Fahrzeug etwa Strom von der hauseigenen PV-Anlage aufnimmt und dann wie ein Heimspeicher bei Bedarf wieder abgibt. Eine Nutzung in Gewerbe und Industrie zur Abfederung von produktionsbedingten Lastspitzen ist ebenfalls denkbar. Die Rückspeisung ins Netz − man spricht von Vehicle-to-Grid − kann dagegen in Form von Regelenergie zur Netzstabilisierung beitragen.

Die Technik für das bidirektionale Laden ist bereits vorhanden. Zumindest sind Fahrzeuge mit dem sogenannten CHAdeMO-Stecker schon dazu in der Lage. Das Akronym steht für „Charge de Move“. Der Stecker und das zugehörige Protokoll sind vor allem bei japanischen und französischen Marken anzutreffen. Im vergangenen April hat jedoch auch Volkswagen angekündigt, jedes ab 2022 im gesamten Konzern auf Basis der MEB-Plattform (Modularer Elektrifizierungsbaukasten) produzierte E-Auto bidirektional auszulegen.

Nur weil eine Handvoll Automobilhersteller sich mit dem Thema beschäftigt haben und Netzbetreiber es als eine der Optionen für die Stabilisierung der Stromnetze in der Zukunft sehen, sei es jedoch noch lange kein Selbstläufer. Wenn erst die nächste oder übernächste Generation von Fahrzeugen zu bidirektionalem Laden in der Lage wäre und erst in einigen Jahren die Regulierung auf die fahrenden Batteriespeicher angepasst würde, würde volkswirtschaftlich wertvolles Potenzial verschenkt, mahnen Hecht und Figgener.

Die technischen Anpassungen an den Fahrzeugen sind nach Einschätzung der beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter mit relativ geringem Aufwand zu bewerkstelligen. Als größere Herausforderungen sehen sie im Moment, dass bisher die wenigsten Ladestationen auf Bidirektionalität ausgelegt sind. Abhilfe werden die neue ISO 15118-20, das Open Charge Point Protocol 2.0 und diese Protokolle nutzende bidirektionale DC-Ladepunkte mit Wechselrichtern statt einfacher Gleichrichter schaffen.

Im Gegensatz zur Technik ist nach Ansicht der beiden Wissenschaftler die Regulierung ein „wirklich dickes Brett“. Für die Zurückspeisung ins Netz bedürfe es überarbeiteter Vorgaben, etwa beim Thema EEG-Strom oder bei der Bereitstellung von Regelleistung. Gerade die Regelleistung könne eines der Geschäftsfelder sein, bei denen Elektrofahrzeuge künftig ihre Flexibilitätspotenziale gut zur Geltung bringen könnten. „Wenn schon Heimspeicherpools präqualifiziert sind, warum sollten dann nicht auch mobile Speicher Regelleistung anbieten?“, fragt Figgener rhetorisch. Allerdings, das gibt er zu bedenken, sind derzeit die Preise für Regelenergie rückläufig − ein Effekt, der sich mit steigendem Angebot beim Hochlaufen der E-Mobilität weiter verstärken dürfte.
 
Teilnahme von E-Autos an der Regelleistung bereits heute möglich
 
Damit lässt sich auch das nach Einschätzung des Übertragungsnetzbetreibers Amprion derzeit nicht besonders ausgeprägte Interesse möglicher Regelleistungsanbieter erklären, Elektrofahrzeuge an diesen Markt zu bringen. Dennoch schätzen 50 Hertz, Transnet BW, Tennet und Amprion die künftige Bedeutung der Elektromobilität für den Stromnetzbetrieb und die Energieversorgungssysteme als durchaus hoch ein.

„Dies umfasst auch, aber natürlich nicht ausschließlich, die Erbringung von Regelleistung“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber auf Anfrage von E&M. Darüber herrsche mit den Kollegen in ganz Europa Einigkeit, die auch in dem im April veröffentlichten Positionspapier von Entso-E, dem europäischen Verband der Übertragungsnetzbetreiber, zum Ausdruck komme.

„Um zu prüfen, inwieweit ein fairer, diskriminierungsfreier und technologieunabhängiger Zugang zu den Regelenergiemärkten in Deutschland für Elektrofahrzeuge garantiert werden kann, besteht bereits eine Arbeitsgruppe der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber“, schreiben die deutschen ÜNB in ihrer Stellungnahme und verweisen auf eine Reihe von Projekten, mit denen sie Erfahrungen für den Netz- und Systembetrieb sammeln. Im Prinzip sei die Teilnahme von E-Autos an der Regelleistung bereits heute möglich. Die Rahmenbedingungen für das gültige Verfahren zur Präqualifikation von Anlagen zur Erbringung von Regelleistung seien nicht technologiegebunden und schließen Elektrofahrzeuge und Ladesäulen nicht aus. Dies gelte für alle Regelleistungsarten, also die Primär-, Sekundär- und Minutenregelleistung.

Vor diesem Hintergrund weist ein Sprecher von Transnet BW darauf hin, dass die im Vergleich zur Stoppsequenz deutlich langsamere Startsequenz eines Ladevorgangs eine Herausforderung ist. Die softwareseitige Kommunikation müsse also schneller werden, damit die PRL auch binnen der vorgesehenen 30 Sekunden zur Verfügung steht. Wichtig sei vor allem aber auch die Frequenzmessung am Fahrzeug beziehungsweise an der Ladesäule, da die Primärregelleistung frequenzbasiert ist. Diese Thematik sei aber bereits Gegenstand von Pilotprojekten.

Mit dem niederländischen Start-up Jedlix, an dem unter anderem Renault beteiligt ist, untersucht Transnet BW seit Beginn des Jahres das Potenzial von E-Autos auch für die Bereitstellung von Sekundärregelleistung. „In diesem Zusammenhang führen wir ebenfalls einen Feldversuch durch“, so der Unternehmenssprecher. Mit rund 100 Fahrerinnen und Fahrern sei er in seiner Größenordnung einmalig in Deutschland.
 
Einzigartiger Feldversuch in der Transnet-BW-Regelzone
 
Bereits seit Sommer 2020 hat Tennet ebenfalls ein Pilotprojekt mit Jedlix zur Bereitstellung von Sekundärregelleistung durch Elektrofahrzeuge durchgeführt. Und 50 Hertz hat im vergangenen November bekannt gegeben, in einem gemeinsamen Projekt mit der VW-Tochter Elli die Voraussetzungen für die Teilnahme von Fahrzeugen am Regelleistungsmarkt schaffen zu wollen.

In der Amprion-Regelzone hat bereits 2018 ein Nissan Leaf Regelenergie geliefert. Ein Sprecher des Übertragungsnetzbetreibers stellt allerdings klar, dass es sich dabei um ein Demonstrationsprojekt gehandelt hat. Es sei davon auszugehen, dass künftig Fahrzeugpools mit tausend oder noch mehr Autos Regelenergie bereitstellen werden, damit eine sichere Energielieferung auch gewährleistet sei.
Besonders geeignet dürften gewerblich genutzte Fahrzeugflotten sein, da sie für ihre Einsätze disponiert werden und damit zuverlässig zu bestimmten Zeiten für die Bereitstellung von Regelleistung zur Verfügung stehen.

Die Kombination aus PV-Anlage, Heimspeicher und E-Auto ist eine gängige Konfiguration, die Autarkie und Flexibilität verspricht. „Aber spätestens, wenn wir über elektrische Zweitwagen sprechen, die fast ausschließlich zu Hause stehen, wird sich ein Teil der Kundschaft auch für einen ‚Heimspeicher auf Rädern‘ entscheiden“, ist Figgener überzeugt. Zumindest wenn die Mehrheit der Nutzer einmal den weitverbreiteten Mythos ad acta gelegt hat, dass die zusätzlichen Zyklen mit geringer Entladetiefe für den Eigenverbrauch oder die Netzdienstleistungen der Antriebsbatterie einen großen Schaden zufügen. Immerhin habe heute etwa jeder fünfte Haushalt einen Zweitwagen.

„Als Stromverbraucher sollten wir alle ein Interesse an der Umsetzung des Vehicle-to-Grid-Ansatzes haben“, sagt Hecht abschließend. Denn ansonsten müssten zusätzliche Investitionen nur zum Zwecke der Netzdienstleistungen getätigt werden. „Und diese landen am Ende immer auf unserer Stromrechnung“, so der Wissenschaftler. Dagegen reduziere die Doppelnutzung von bereits getätigten Investitionen, wie sie Elektrofahrzeuge darstellen, die Gesamtsystemkosten.
 
Viele Ladepunkte auf einem Parkplatz 
Bild: Mennekes

 
 

Fritz Wilhelm
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Montag, 07.06.2021, 09:31 Uhr

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