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Enerige & Management > KWK - Der lange Weg zum Wasserstoff-BHKW
Bild: Innio, Rolf Otzipka
KWK:
Der lange Weg zum Wasserstoff-BHKW
In Hamburg-Othmarschen ist ein Wasserstoff-BHKW von Innio in Betrieb gegangen. Parallel läuft ein weiterer Testmotor in Graz. Bis dahin mussten die Techniker viel Detailarbeit leisten.
 
Das Großraum-Kino im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld ist zwar wegen Corona schon seit Wochen geschlossen. Wenn es geöffnet wäre, dann kämen die Kinobesucher seit Kurzem in den Genuss einer besonderen Wärme: Sie wird optional aus grünem Wasserstoff generiert, der in einem Gasmotor (BHKW) mit einer Leistung von einem Megawatt zum Einsatz kommt. Entweder im Erdgas-Wasserstoff-Mischbetrieb oder sogar ganz und gar mit 100 % Wasserstoff.
Vor rund zwei Monaten ist der neue “Wasserstoff“-Motor offiziell in Betrieb gegangen. Es ist ein Gasmotor der 1-MW-Klasse des Herstellers Innio (Jenbacher), der nach jahrelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit nun in der Lage ist, mit Wasserstoff, entweder zu Teilen oder gänzlich, betrieben zu werden. Dafür mussten die Jenbacher-Techniker um Martin Schneider wichtige Details verändern. „Diese reichen von speziellen Wasserstoff-Einspritzventilen über eine eigene Sensorik zur Optimierung der Motorsteuerung für die Verbrennung von Wasserstoffgemischen bis hin zur Anpassung der Kolben und der Aufladung (Turbolader; d. Red.)“, erklärt Carlos Lange, Vorstandschef von Innio.

Betreiber des Prototyps in Hamburg-Othmarschen ist das Energieunternehmen Hansewerk Natur, das sich an der Entwicklungsarbeit beteiligt hat. Es nutzt den umgebauten Motor dabei wie bisher als Blockheizkraftwerk, das Wärme für das Kino und für das benachbarte Neubaugebiet bereitstellt. Angeschlossen ans Erdgasnetz erhielt der Motor früher nur Erdgas; in Zukunft ist im umgerüsteten, Wasserstoff-kompatiblen BHKW immer auch der Einsatz von Wasserstoff möglich. Da aber im Hamburger Gasnetz aktuell noch kein Wasserstoff anzufinden ist, wird der Wasserstoff bisher lediglich in Gasflaschen durch ein Partnerunternehmen geliefert.

Wasserstoff wird derzeit via Gasflaschen geliefert

„Hierbei handelt es sich um zertifizierten grünen Wasserstoff, der durch Elektrolyse aus erneuerbaren Strom hergestellt wurde“, wie Hansewerk-Pressesprecher Fabian Dahlem versichert. Ob dem Gasnetz schon in naher Zukunft künftig höhere Anteile an Wasserstoff beigemengt werden können, hänge davon ab, „zu welchen Ergebnissen wir am Ende kommen und welche Konsequenzen die Politik daraus zieht“, so Dahlem weiter.

Dass die Politik hinsichtlich grünem Wasserstoff lange gezaudert hat, ist bekannt. Unterdessen hat sich die Hansewerk Natur im Zuge ihrer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2030 eine CO2-Freiheit zu erreichen. Daher lag es nahe, dass der Versorger zuerst auf bewährte Lieferanten und Systempartner wie Innio zugehen würde, um auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung voranzukommen.

Doch fällt ein funktionierendes Wasserstoff-BHKW nicht einfach vom Himmel, sondern braucht Know-how und Experimentierzeit, was große Investitionen verlangt. Dabei seien die Betriebskosten, so Thomas Baade, Geschäftsführer von Hansewerk Natur, „grundsätzlich identisch zum Erdgasbetrieb. Jedoch sind die Brennstoffkosten momentan - verglichen mit Erdgas - noch um ein Vielfaches höher. Ein erster Hebel, diesen günstiger zu machen, ist die Umlagenbefreiung für die Erzeugung von grünem Wasserstoff aus überschüssigem Windstrom“, fügt er hinzu.

 
Im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld steht das Wasserstoff-BHKW des Herstellers Innio
Bild: Innio, Rolf Otzipka


Ob sich damit alle Projekte im Bereich Wasserstoff plötzlich rechnen werden, darf jedoch bezweifelt werden; so sind auch viele angedachte Projekte der Hansewerk, wie unter anderen der Bau eines Elektrolyseurs im Hamburger Hafen in der Größenordnung von 25 Megawatt Leistung, derzeit ohne Förderung kaum wettbewerbsfähig.

Zudem ist auch die Frage, wie hoch der Anteil von Wasserstoff im Erdgasnetz sein darf, von entscheidender Bedeutung für die Weiterentwicklung der Wasserstoffwirtschaft beispielsweise auch im Hamburger Stadtgebiet. Während noch vor einigen Jahren von Experten behauptet wurde, dass nur einstellige Prozentanteile von Wasserstoff im Gasnetz technisch unproblematisch seien, halten viele Fachleute inzwischen auch zweistellige Prozentsätze für durchaus technisch möglich und machbar.

„Inwiefern sich Wasserstoffnetze beziehungsweise die Erhöhung von Wasserstoffanteilen im Gasnetz entwickeln, hängt aber maßgeblich davon ab, welche politischen Entscheidungen in den kommenden Jahren getroffen werden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang eine wasserstofffreundliche Entwicklung. Sollten Anteile entsprechend steigen, haben wir schon wasserstoffaffine Wärmelösungen in der Schublade“, so Baade. „Wir selber haben bereits zehn Prozent Wasserstoff vor einigen Jahren in unserem Gasnetz im nordfriesischen Klanxbüll problemlos eingesetzt.“ Denkbar sind aber auch weit höhere Beimischungsgrade, wie sich aktuell in einem Forschungsprojekt mit dem Energieunternehmen Avacon erprobt werden. So können sich die Verantwortlichen bei Hansewerk durchaus vorstellen, dass im Hamburger Gasnetz bis zu 20 Prozentvolumen Wasserstoff enthalten sein kann.

Ventile und Dichtungen müssen für Wasserstoff anders beschaffen sein

Der neuartig umgerüstete 1-MW-Motor von Innio könnte damit auf jeden Fall klar kommen. „Das ist alles machbar“, sagt Chefentwickler Martin Schneider, „allerdings müssen die Ventile und die Dichtungen anders beschaffen sein, um den Einsatz des Kraftstoffes Wasserstoff bewältigen zu können.“ Außerdem brauche es eine andere Steuerungssoftware im Motor und auch sicherheitstechnisch ist vieles neu zu konzipieren. Während sich jahrelang kaum ein Unternehmen für Wasserstoff-Motoren interessierte - auch, weil nirgendwo grüner Wasserstoff ausreichend bereitstand, trudelt bei Innio mittlerweile fast wöchentlich eine Anfrage nach einem Wasserstoff-Motor herein, verrät Martin Schneider.

Vielleicht werden daher viele Gasmotoren, die schon länger in Betrieb sind, schon bald umgerüstet; dies könne schneller Realität werden, als bislang vom Hersteller angenommen worden ist. Daher verweist Innio-Chef Lange gerne darauf, dass man im Unternehmen sich bemühe, „das wasserstofffähige Produktportfolio zu erweitern“. Tatsächlich hat Innio in der Vergangenheit schon mehr als 200 MW Spezialgasmotoren, die mit Anteilen von bis zu 60 % Wasserstoff gefahren werden, bereitgestellt. So ist die erste Jenbacher-Pilotanlage im Kilowatt-Bereich mit 100 % Wasserstoff bereits 2001 in Schleswig-Holstein in Betrieb genommen worden.

Parallel zum Prototyp des 1-MW-Motors in Othmarschen läuft ein weiterer Testmotor seit Oktober am Large Engines Competence Center (LEC) in Graz. Hier handelt es sich um einen Jenbacher Gasmotor der 2-MW-Klasse, der vom reinen Erdgasbetrieb auf den Betrieb mit Wasserstoff und Methanol umgerüstet wird. Und auch für ein weiteres Innovationsvorhaben ist der Startschuss bereits gefallen: Im Rahmen des Projekts „Hy2Power – nachhaltige Energiespeicherung und -umwandlung“ unterstützt Innio gemeinsam mit anderen Forschungseinrichtungen eines der größten Energieunternehmen Österreichs bei der Dekarbonisierung seiner Energieerzeugung. Dafür soll ein Wasserstoffkraftwerk mit einer Leistung von 1 bis 5 MW an einem bestehenden Kraftwerksstandort in Mellach/Werndorf konzipiert und bis zum Sommer 2023 realisiert werden. E&M
 
 

Dierk Jensen
© 2024 Energie & Management GmbH
Dienstag, 02.02.2021, 08:18 Uhr

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