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Enerige & Management > Stromnetz - Hauptsache, Deckel drauf
Bild: E&M, Jonas Rosenberger
STROMNETZ:
Hauptsache, Deckel drauf
Der Regelarbeitsmarkt war mit Hoffnungen auf niedrigere Preise gestartet. Das Gegenteil stellte sich ein. Ein grüner Direktvermarkter schlug Alarm, dann gab es erneut eine Preisgrenze.
 
Am 2. Dezember vergangenen Jahres schreckte die Warnung von Baywa Re/Clens auf: Die Stromautobahnbetreiber (ÜNB) mussten zwischen 8 und 12 Uhr eine zusätzliche Erzeugung für bis zu 63.000 Euro pro MWh abrufen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten.

Wem da in der Spitze in seinem Bilanzkreis eine Megawattstunde fehlte, der wird für die Ausgleichsenergie mehr als 16.000 Euro als Umlage mit Strafcharakter zahlen. Im Großhandel hätte er daselbe für maximal 100 Euro bekommen. Doch die Baywa gehört zu den großen Direktvermarktern von nur unscharf prognostizierbarem Wind- und Solarstrom. Über- und Unterdeckungen im Bilanzkreis sind da programmiert. Der Regelenergiemarkt der ÜNB und die Art, wie die Kosten umgelegt werden, behindere die Energiewende, stand im Raum.

Der Alarmruf wirkte: Das Wirtschaftsministerium (BMWi) äußerte sich „besorgt“, und schon Mitte des Monats senkte die Bundesnetzagentur (BNetzA) in den zwei neu eingeführten Regelarbeitsmärkten das Maximalgebot von 99.999 auf 9.999 Euro pro MWh. Die ÜNB setzten dies für den 19. Januar erstmals um.

Der Sinn des neuen Marktdesigns

Damit hielt das neue Design des Regelenergiemarktes keine drei Monate. Sein Kern war, dass Anbieter von Megawatt oder „Negawatt“ für den kurzfristigen, das Stromsystem stabilisierenden Abruf von Stromerzeugung, Minderverbrauch oder Mehrverbrauch, Arbeitspreise bieten dürfen, ohne zuvor an der Leistungspreis-Auktion für die reine Vorhaltung teilnehmen zu müssen. Dies sollte eigentlich neue, kleinere Akteure anlocken, die Marktliquidität erhöhen. Die blieb aber „schlecht“. Das ist eine der Begründungen der BNetzA gegenüber E&M für den Preisdeckel.
Der Regulierer bestätigte auch erstmals: Ein einziger Anbieter hat Marktanteile von bis zu 60 %. Die ÜNB hätten in beiden neuen Regelarbeitsmarkt-Segmenten von Beginn an fünfstellige Durchschnittspreise bezuschlagen müssen. Allerdings nannte der Regulierer nicht Ross und Reiter: Hat RWE diese marktbeherrschende Stellung? Oder Uniper? Oder wer hat sonst einen stattlichen konventionellen Kraftwerkspark für Regelenergie übrig?

Neu sind diese Mondpreise aber nur in ihrer Massierung: Schon im Oktober 2017 verdiente ein einziger Anbieter mit 250 MW eine halbe Stunde lang 77.777 Euro pro MWh, angeblich in einer stabilen Netzsituation. Dieser soll schon länger in einer ähnlich verlaufenden Preiskurve geboten haben. Die BNetzA machte vier Monate später erstmals exakt den gleichen Preisdeckel drauf wie jetzt. Doch sie startete keine Ermittlungen.

Auch das Kartellamt wurde nicht tätig. In seinem aktuellen Marktmachtbericht Stromerzeugung stellt es nun zwar fest, dass RWE einer Marktmacht nahe sei, es befasst sich aber ausdrücklich nicht mit dem Regelenergiemarkt. Das behält sich die Behörde immerhin für den nächsten Bericht vor, den sie wegen des Umbaus in der Erzeugung – Atomausstieg, Kohleausstieg und weiterer Zubau Erneuerbarer – in weniger als zwei Jahren vorlegen will. Einzelne Akteure hätten vor allem bei der positiven Sekundärreserve „potenziell erhebliche Preissetzungsspielräume“.

In 15 Minuten 80.000 Euro weg

Diesmal dauerte es bis zum Preisdeckel nur sechs Wochen. Baywa Re-/Clens-Geschäftsführer Daniel Hölder rechtfertigt das als „Notmaßnahme“: "Wenn mir ein 20-MW-Windpark kurzfristig ausfällt, zahle ich bei einem Ausgleichsenergiepreis von 16.000 Euro 80.000 Euro für eine einzige unterdeckte Viertelstunde. Das ist nicht verhältnismäßig. Das ist nicht handhabbar.“ Mehr noch: Hölder muss auch zahlen, wenn sein Windpark zwangsabgeschaltet wird. „Dies wird sich erst mit dem Redispatch 2.0 ändern“, sagt er E&M.

Mittelfristig wäre Hölders „Kernansatzpunkt“: mehr Wettbewerb – „wie, das ist nicht die Aufgabe der Bilanzkreisverantwortlichen, sondern derer, die den Markt designen“.

Zudem sollten aus seiner Sicht Fehlanreize weg: „Wenn ich long (überdeckt; d. Red.) bin und das System short (unterversorgt; d. Red.), profitiere ich von einem hohen Ausgleichsenergiepreis, obwohl mein Bilanzkreis nicht ausgeglichen ist.“ In diesen Genuss kämen überdies nur Betreiber steuerbarer Kraftwerke. Dagegen warnt Jan Aengenvoort von Next Kraftwerke davor, das Marktdesign zu ändern, „bevor es sich eingeschwungen hat. Man bekommt nicht innerhalb von zwei Monaten neue Flexibilitäten. Allein die Präqualifizierung dauert“, sagt er mit Blick auf das Zulassungsverfahren zu den Regelenergiemärkten.

Mittelfristig brauche es „die Integration von kurzfristigen Flexibilitätsbereitstellern“. Allein Notstromaggregate kommen in Deutschland kumuliert auf 5.000 bis 20.000 MW Leistung, so das BMWi. Aengenvoort: „Aber dieser Markt wächst nicht, auch nicht in unserem virtuellen Kraftwerk. Die Zulassung ist derart überbürokratisiert, dass eine Teilnahme am Regelenergiemarkt heute faktisch ausgeschlossen ist. Wir glauben hier nicht an eine kurzfristige Skalierbarkeit, sollte das Verfahren nicht vereinfacht werden." Next fordert auch eine „Entanonymisierung des Gebotsgeschehens“, damit es transparent wird.

Zudem plädiert Aengenvoort für eine „Dynamisierung bisheriger unflexibler Strompreisbestandteile, die zur Nichtnutzung von Flexibilitäten anreizen oder - noch schlimmer - Demotivationselemente sind. Größere Verbraucher mit registrierender Leistungsmessung werden heute dafür belohnt, möglichst flach Strom zu entnehmen, zum Beispiel durch den 80-prozentigen Rabatt bei den Netzentgelten in der 7.000-h-Regel oder die möglichst niedrige Höchstlast zur Berechnung des Netzentgelts“.

Efet: Die Marktabfrage war keine

Zum 2. Dezember und den Reaktionen darauf gibt es aber auch andere Lesarten: Für den Energiehändlerverband Efet Deutschland ist die neue Obergrenze EU-rechtswidrig zustandegekommen. Es hätte vor dem Eingriff ins System eine transparente Marktkonsultation geben müssen. So stehe es in der EU Electricity Balancing Guideline. Die Marktabfrage der BNetzA sei aber, so Efet, „nur an eine Auswahl“ gerichtet gewesen, die dem Verband willkürlich erscheint.
Mehr noch: Ob das neue Regime insgesamt mehr kostet, kann nicht einmal für die ÜNB feststehen. Eine Sprecherin von Transnet BW teilte E&M mit: „Wir haben intern die November-Daten noch nicht analysiert.“

Für die Fortum-Tochter Uniper verstößt der Eingriff selbst gegen ein entsprechendes Verbot in der EU-Verordnung 2019/943 und im Energiewirtschaftsgesetz. Aus Sicht des großen Regelenergie-Anbieters – wie groß, das sagt der Sprecher nicht - hätten gerade die Preisspitzen in der „Anlaufphase“ des Regelarbeitsmarktes Anreize für Markteintritte gesetzt.
Dass die ÜNB mehr als 600 MW Minutenreserve abrufen, liegt laut Uniper bei einer Wahrscheinlichkeit von unter 3 %. „Dies muss sich im Preis widerspiegeln können, ansonsten gibt es nicht genügend Anbieter“, so ein Sprecher.

Am 2. Dezember mussten bis zu 1.300 MW aktiviert werden. Erst oberhalb von 700 MW schossen die Preise in die Höhe, so die Baywa. Im Übrigen, fährt Uniper fort, habe jener Tag auch im separaten Großhandelsmarkt die zweitteuersten Day-Ahead-Preise des Jahres 2020 gesehen. Intraday ergaben sich sogar weit über 500 Euro pro MWh. Ein Kraftwerk war ausgefallen. Die Netzsituation war also keineswegs unkritisch.

Die technische Preisgrenze von 99.999 Euro ist aus Unipers Sicht „essenziell“. Und sie kommt Ende des Jahres ohnehin zurück: Die BNetzA muss mit dem Start der europaweiten Regelenergie-Plattformprojekte Mari und Picasso den Preisbildungs-Beschluss der EU-Agentur Acer beachten. Ein echter Picasso ist halt unter 10.000 Euro nicht zu haben. E&M
 
 

Georg Eble
Redakteur
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Freitag, 12.02.2021, 09:00 Uhr

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