• Parken unterm Sonnenkraftwerk
  • Zwei neue Vorstandsmitglieder bei Ista
  • Jetzt will Gemeinde LNG-Terminal auf Rügen vor Gericht stoppen
  • Schnell und effektiv Transparenz schaffen
  • Anzahl der Pkw-Neuzulassungen mit alternativen Antriebsarten
  • Rückgang der Erneuerbaren-Einspeisung hebt die Preise
  • 2023 fast 33 000 neue Ladesäulen in Deutschland gebaut
  • „Außerordentliches“ Ergebnis für Enervie im Jahr 2023
  • Deutscher E-Auto-Hersteller vor dem Aus
  • Eine Wärmepumpe, die das Stromnetz entlastet
Enerige & Management > E&M Vor 20 Jahren - "Liebesbedürftig darf man nicht sein"
Walter Boltz, Geschäftsführer der E-Control (hier ein Bild von 2010). Quelle: E-Control
E&M VOR 20 JAHREN:
"Liebesbedürftig darf man nicht sein"
Vor 20 Jahren gab es in Deutschland noch keinen Regulierer. In Österreich hatte er zu diesem Zeitpunkt schon fast zwei Jahre im Markt gewirkt.
 
In Österreich heißt der Energiemarktregulierer „E-Control“. Am 1. März 2001 nahm er seine Tätigkeit auf. Zunächst war es eine GmbH. Gründungsgeschäftsführer war der ehemalige PwC- und KPMG-Berater Walter Boltz. Im Jahr 2011 wurde E-Control in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt.

Während es in Deutschland vor 20 Jahren noch keine Regulierungsbehörde gab und die Verbände der Energiewirtschaft sie wie der Teufel das Weihwasser scheuten, wurde dem Regulierer in Österreich von der Branche immerhin Respekt entgegengebracht, wie Walter Boltz im Gespräch mit Energie & Management verriet.

E&M-Redakteur besuchte damals Boltz in Wien und sprach mit ihm über Beruf, Berufung und über die Gestaltung und Verwaltung des Wettbewerbs. Hier eine gekürzte Version des Interviews vom November 2002.
 
E&M: Herr Boltz, welche Traumberufe hatten Sie, als Sie zehn und 20 Jahre alt waren?

Boltz: Meine jetzige Position gab es damals noch nicht, wenn Sie darauf anspielen. Und Geschäftsführer der E-Control GmbH ist ja auch kein klassisches Berufsbild. In der Kindheit wollen alle Jungs entweder Eisenbahner oder Pilot oder etwas Ähnliches werden. Bei mir war das sicher nicht anders. Aber zu der Zeit, als es wirklich um die Berufswahl ging, hatten mich durchaus Wissenschaft und Forschung interessiert, im Bereich der technischen Physik, die ich studiert habe. Aus Mangel an attraktiven Tätigkeitsfeldern bin ich dann aber in die Wirtschaft gegangen, in ein Beratungsunternehmen.

E&M: Sehr oft findet man einen Juristen in der Position des Regulators. Sie sind Physiker. Was ist mit den österreichischen Juristen los?

Boltz: In Österreich ist auch der Regulator für die Telekommunikation kein Jurist, sondern Volkswirt. Wer eine solche Position bekleidet, muss ohnehin Generalist sein, mit technischen, juristischen und ökonomischen Kenntnissen. Entscheidend war aber, dass ich als Berater das Modell der Strom- und Gasmarktliberalisierung für das Wirtschaftsministerium ausgearbeitet habe. Zwar hatten sich mehrere Personen für die Stelle des Regulators beworben. Für den Minister lag es aber natürlich nahe, zu sagen: Jetzt hat er gemeint, das wird schon funktionieren, dann soll er es auch unter Beweis stellen. Berater müssen ja ständig mit dem Vorwurf leben, zwar gescheit daherzureden, aber letztlich selbst nicht umsetzen zu können, was sie vorschlagen. Da konnte ich keinen Rückzieher machen.

E&M: Von der Unternehmensberatung zur Politikberatung?

Boltz: Die Politikberatung fand vor allem vor der Liberalisierung und in der ersten Regulierungsphase statt. Zum Beispiel bei der Ausarbeitung des neuen Gaswirtschaftsgesetzes haben wir intensiv mit dem Wirtschaftsministerium zusammengearbeitet, da wir ein vitales Interesse daran haben, den gesetzlichen Rahmen möglichst effektiv und praktikabel zu gestalten. Schließlich müssen wir für dessen Einhaltung sorgen. Er ist die Grundlage unserer Regulierungsarbeit. Wir haben aber auch durch das Gesetz vorgegebene Aufgaben, die wir ganz selbständig, ohne Interaktion mit der Regierung abarbeiten.
 
„Wir machen die Gesetze nicht“
 
E&M: Wie unabhängig sind Sie von der Politik?

Boltz: In meinem Vertrag ist meine persönliche Unabhängigkeit ausdrücklich festgeschrieben. Und die E-Control GmbH ist in ihrem operativen Geschäft völlig unabhängig.

E&M: Unabhängigkeit verleiht auch Macht.

Boltz: Diesen Begriff mag ich gar nicht in den Mund nehmen. Selbstverständlich haben unsere Aktivitäten oder auch das, was wir nicht machen, Einfluss auf die Unternehmen, auf deren Ergebnisse im Netzbereich, auf den gesamten Markt – keine Frage. Und wir haben gewisse Gestaltungsmöglichkeiten. Die braucht man aber auch, denn mit null Einfluss und null Gestaltungsmöglichkeiten kann man auch null bewirken. Aber vergessen Sie nicht, wir nehmen unsere Aufgaben kraft Gesetzes wahr, wir machen die Gesetze nicht.

E&M: Was sind Sie dann: Eher Gestalter des Wettbewerbs oder eher Wettbewerbshüter?

Boltz: Ich glaube, es ist das Wichtigste, die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb optimal zu gestalten, dann braucht man hinterher nicht so viel zu hüten. Aber Fehlentwicklungen und Verzerrungen treten nun einmal auf und müssen dann schnell beseitigt werden. Da wir in Europa noch keinen Energiebinnenmarkt haben, auf den sich die einheimischen Kunden stützen können, ist es umso wichtiger, dass die Wettbewerbsregeln im österreichischen Energiemarkt eingehalten werden. Insofern spielen wir beide Rollen – die des Gestalters und die des Hüters.

E&M: Reichen Ihre Instrumente aus, um Ihren Part gut zu spielen?

Boltz: Wir haben Instrumente an der Hand, die uns ganz vernünftig unsere Arbeit machen lassen. Nehmen wir zum Beispiel einen wechselwilligen Kunden, dessen Lieferant ihn unter irgendwelchen, rechtlich nicht korrekten Vorbehalten nicht freigeben will. In einem solchen Fall können wir ein Missbrauchsverfahren einleiten beziehungsweise durchführen und dann einen Bescheid erlassen, der den Lieferanten verpflichtet, gewisse Maßnahmen zu ergreifen oder zu unterlassen. Wenn er diesem Bescheid nicht nachkommt, kann der Kunde berechtigte Schadenersatzforderungen stellen, was für den Lieferanten sicherlich mit gewissen Peinlichkeiten verbunden ist.

E&M: Wenn aber erst einmal der Rechtsweg beschritten ist, kann es Monate oder Jahre dauern, bis tatsächlich Wettbewerb herrscht.

Boltz: Wenn wir einen Tarif zum Beispiel auf 50 Cent festsetzen – die Entscheidungen der E-Control-Kommission werden letztlich in eine Rechtsverordnung gegossen – und ein Netzbetreiber ist der Meinung, es müssten aber 55 Cent sein, kann er Rechtsmittel einlegen, allerdings ohne aufschiebende Wirkung. Sollte der Netzbetreiber nach einem vielleicht zweijährigen Verfahren tatsächlich obsiegen, kann er zu seinen Kunden gehen und sagen: Ich habe Recht bekommen. Ihr müsst nachzahlen. Das fördert nicht gerade partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen. Daher ist es in der Regel für die Netzbetreiber in den meisten Fällen vernünftiger, nicht alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.

E&M: Sie stellen unbotmäßige Netzbetreiber an den Pranger, lassen die Lieferanten sich gegenseitig Kunden abnehmen und verhelfen so den Endverbrauchern zu günstigeren Energiepreisen. Aber trotzdem werden Sie es wohl keiner der genannten Gruppen recht machen können.

Boltz: Liebesbedürftig darf man in meiner Position nicht sein. Es ist in der Regel sehr schwierig, einen Ausgleich der verschiedenen Interessen zu finden. Ich denke aber, dass wir in dieser ersten Phase der Liberalisierung auch mit den Netzbetreibern, die ja unsere hauptsächlichen Kunden sind, immer pragmatische Lösungen gefunden haben. Es wird zwar von allen Seiten immer viel gejammert. Aber am Ende des Tages haben wir bisher wohl 95 Prozent aller strittigen Fragen im Konsens gelöst. Und viele dieser Lösungen wurden rasch umgesetzt, vor allem im Gasbereich. Ich habe das Gefühl, dass die Marktteilnehmer in hohem Maße die politische Willensbildung und die daraus resultierenden Rahmenbedingungen akzeptieren und respektieren.
 
„Ich gehe keiner Diskussion aus dem Weg“
 
E&M: Wenn Sie nicht liebesbedürftig sein dürfen, dürfen Sie dann wenigstens harmoniebedürftig sein? Oder sind Sie ohnehin jemand, der sich gerne einmischt, der austeilt und wenn es sein muss, auch einsteckt?

Boltz: Ich breche nicht ohne Not einen Streit vom Zaun. Ich gehe aber auch keiner Diskussion aus dem Weg. Gerade im Bereich der Netztarife gab und gibt es diese immer wieder. Sie können sich denken, wie schwer es Monopolisten fällt, sich sehr rasch dem Wettbewerb zu stellen. Und wenn es sein muss, streite ich mich auch. Manche sagen auch, ‚was mischt sich denn der überall ein‘, wenn ich mich zur Umsetzung des Ökostromgesetzes und zur Erreichung der EU-Richtlinie äußere. Wobei uns das Gesetz sogar zur Erstellung entsprechender Berichte verpflichtet.

E&M: Bis jetzt haben Sie anscheinend aber noch nicht allzu viel einstecken müssen ...

Boltz: Das kann sich aber jederzeit ändern. Als Regulator macht man sich nicht allzu viele Freunde. Man kann aber durchaus auf eine gewisse Anerkennung hoffen, wenn man sein Ziel erreicht. Und das heißt bei mir ganz klar: Wettbewerb auf den Energiemärkten.

E&M: Wie lange wollen Sie diesen Job noch machen?

Boltz: Ich habe, das ist kein Geheimnis, einen Fünfjahresvertrag, und am Ende dieser fünf Jahre werde ich sehen, ob ich das Gefühl habe, ich überlebe noch fünf weitere Jahre in dieser Position, und ob ich die Aufgaben weiterhin übernehmen will. Außerdem kommt es auch auf die Politik an, ob sie der Meinung ist, ich solle weitermachen. Ich mache mir darüber aber noch keine Gedanken. Es sind ja erst knapp zwei Jahre vergangen.
 
Die Unternehmen hatten sich auf eine schwerfällige Behörde eingerichtet
 
E&M: Wird in fünf Jahren überhaupt noch ein Regulator notwendig sein?

Boltz: Ich weiß es nicht. Zwar arbeiten die Regulierungsbehörden auf europäischer Ebene schon intensiv zusammen und stehen auch mit der Kommission in intensivem Dialog. Aber die Alternative einer europäischen Regulierung sehe ich nicht, solange nicht der Rechtsrahmen viel stärker vereinheitlicht ist. Und ich halte es für unwahrscheinlich, dass es jemals so weit kommen wird, da der Abstimmungsaufwand immens ist und nationale Interessen natürlich immer eine Rolle spielen. Ich glaube auch, dass Missbrauchsfälle und sonstige Probleme eher auf lokaler Ebene auftreten.

E&M: Wie sieht die Bilanz Ihrer bisherigen Arbeit aus?

Boltz: Im Strommarkt haben wir jetzt etwas mehr als ein Jahr praktische Erfahrungen gesammelt. Tatsächlich sind die Tarife für alle Stromkonsumenten gefallen. Durch die Bank haben wir heute günstigere Tarife als in Deutschland. Natürlich funktioniert der Strommarkt noch nicht perfekt, aber er funktioniert. Wir haben etwa 20 bis 30 Missbrauchsfälle pro Jahr bei etwa 50.000 Kunden, die ihren Lieferanten wechseln.

E&M: Hat auch der Privatmann Walter Boltz gewechselt?

Boltz: Ich habe nicht gewechselt, da ich in einer besonderen Situation bin. Nachher wird dann meine Entscheidung bestimmt politisch ausgeschlachtet. Aber trotzdem habe ich kräftig profitiert. Und auch wenn nicht sehr viele Kunden gewechselt haben, ist der Wettbewerb doch hinreichend intensiv, um zu Kostensenkungen zu führen. Darüber hinaus haben wir auch eine beträchtliche Reduzierung der Netztarife erzielen können – immerhin um 145 Millionen Euro über alle Netzbetreiber in Österreich. Das mag vielleicht auf den ersten Blick nicht besonders viel sein. Wenn man aber die Kosten der E-Control GmbH von acht Millionen Euro gegenüberstellt, kommen wir doch auf eine sehr bemerkenswerte Relation.

E&M: Arbeitet die E-Control so kosteneffizient, weil sie eine GmbH mit einem Geschäftsführer und keine Bundesbehörde ist?

Boltz: Das spielt schon eine Rolle. Vor allem in der Anfangsphase kann man viel schneller und effizienter arbeiten. Wenn eine Behörde neu aufgebaut wird, stellt beispielsweise die Bundesgebäudeverwaltung die Räume zur Verfügung, das Bundesrechenzentrum kümmert sich um die Informatik und so weiter. Das dauert. Als ich am 1. März 2001 Geschäftsführer der E-Control wurde, gab es nur mich und eine Bankverbindung. Eine Woche später hatten wir bereits ein Büro, einen PC und eine Mail-Adresse. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung wäre das kaum unter drei Monaten machbar gewesen. Am 5. März 2001 haben wir bereits zu viert bei den Vertretern der Energiebranche angeklopft, um die Details der Marktregeln zu verhandeln. Das war natürlich für die Unternehmen eine gewaltige Überraschung. Die hatten sich auf eine schwerfällige Behörde eingerichtet.
 

Fritz Wilhelm
Stellvertretender Chefredakteur
+49 (0) 6007 9396075
eMail
facebook
© 2024 Energie & Management GmbH
Freitag, 28.10.2022, 16:26 Uhr

Mehr zum Thema