• Energiemärkte rückläufig
  • Immer weniger Ladesäulen pro E-Auto
  • Versorger wollen Marshallplan für Wärmewende
  • „Haupttreiber bleibt das Erdgas“
  • Solarwatt stellt Produktion in Dresden ein
  • Oranienburg schließt wieder an
  • Grünes Licht für Südostlink-Baustart in Bayern
  • Salzwasser-Wellen-Strömungskanal für maritime Forschung eröffnet
  • Hochleistungsladen mit Unterstützung
  • Müssen Wärmepumpen weichen, wenn Fernwärme kommt?
Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Wir suchen Sie!
Quelle: Shutterstock
AUS DER AKTUELLEN ZEITUNGSAUSGABE:
Wir suchen Sie!
Um die Energiewende zu meistern, braucht es Tausende zusätzliche Fachkräfte. Allerdings sind Experten heute schon Mangelware. Das Problem gehört nach oben auf die politische Agenda.
 
Manchmal versucht die Politik, Probleme zu lösen − und schafft damit neue. Durch den üppigen Bundeszuschuss haben in Deutschland mittlerweile mehr als 500.000 Menschen einen Antrag auf Förderung für eine E-Auto-Wallbox gestellt. Allein, auf die Installation ihrer Heimladestation müssen sie zumeist Wochen oder gar Monate warten. Es fehlt massiv an Elektrikern.

In den nächsten Jahren werden wohl nicht nur Erneuerbaren-Anlagen oder Infrastruktur fehlen, sondern auch das dafür dringend erforderliche Personal für den Aufbau und Betrieb. Besonders herausfordernd wird die Situation, weil der Arbeitskräftebedarf für die Energiewende auf Berufsgruppen fällt, in denen laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit heute schon Fachkräfte fehlen. Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen: „Prognosen zufolge müssen in den kommenden zehn Jahren 25 Prozent der Stellen in der Branche neu besetzt werden“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

Die Nachfrage nach Ingenieurinnen und Ingenieuren, die die künftige Energieversorgung durch intelligente Netze steuern werden, ist laut dem BDEW schon heute groß. Energieunternehmen benötigen zusätzliche IT-Fachkräfte, damit etwa die Kommunikation zwischen der Netzleitstelle und den Haushalten intelligent wird. „Auch bei der Installation und Wartung von Windenergieanlagen vor den Küsten gibt es schon heute einen Mangel an Fachkräften“, stellt Andreae fest.

„Die Politik hat die Brisanz von zu wenig Fachkräften noch nicht wirklich erkannt“

Nach einer von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegebenen Kurzstudie vom April 2021 mit dem Titel „Arbeitskräftebedarf nach Sektoren, Qualifikationen und Berufen zur Umsetzung der Investitionen für ein klimaneutrales Deutschland“, die E&M vorliegt, werden 2035 konservativ gerechnet 800.000 Arbeitskräfte „zur Produktion von Investitionsgütern für den Klimaschutz benötigt“. Von diesen entfallen rund 306.800 Arbeitskräfte, also 40 %, auf Berufsgruppen, in denen die Bundesagentur für Arbeit für das Jahr 2019 schon einen Mangel an Fachkräften festgestellt hat. Der größte Teil betrifft Berufe der Rohstoffgewinnung, der Produktion und der Fertigung (56 %), ein weiterer großer Anteil Bau-, Architektur-, Vermessungs- und Gebäudetechnikberufe (32 %).

Besonders eklatant ist das Problem schon jetzt im Handwerk. In vielen handwerklichen Berufsfeldern herrscht nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit seit Jahren ein ausgeprägter Fachkräftemangel, hier vor allem in den Bereichen Klempnerei, Sanitär, Heizung und Klimatechnik. Deutschland laufe bereits in den nächsten drei bis vier Jahren in eine massive Fachkräftelücke hinein, warnte kürzlich Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). „Die Politik hat die Brisanz von zu wenig beruflich qualifizierten Fachkräften für unsere Gesellschaft und Wirtschaft nach meinem Eindruck immer noch nicht wirklich erkannt.“

Dieser Handwerkermangel wirkt sich auch auf Versorger und deren Infrastrukturprojekte sowie den Service aus. Nach Ansicht der Stadtwerke München (SWM) wird dabei zu sehr auf die Erzeugung fokussiert. Die Energiewelt mit Solaranlagen, Speichern oder Wärmepumpen erfordere auch Fachkräfte, die diese Anlagen installieren, warten und instand setzen. Und gerade hier herrsche akuter Fachkräftemangel, der sich im Bereich der Gebäudetechnik deutlich auswirke, so die SWM: „Viele Handwerksbetriebe können Aufträge wegen Personalmangels nicht mehr annehmen.“ Allein im Gebäudesektor wird nach einer Analyse des Beratungshauses Prognos für 2030 eine Fachkräftelücke von rund 47.000 Beschäftigten prognostiziert.

Bei den Versorgern selbst scheint die Lage noch nicht so dramatisch. Wie die Stadtwerke München auf Nachfrage von E&M weiter mitteilen, sind sie aktuell in der Lage, ihre Stellen über den Markt und die eigene Ausbildung zu besetzen. Allerdings rechnet auch der Münchner Versorger damit, dass sich insbesondere im Bereich der Facharbeiter, Meister und Techniker die Situation verschärfen wird. Eine ähnliche Aussage kommt von der Energieversorgung Oberhausen (EVO). Die Wiederbesetzung dauere zwar etwas länger, aber bisher sei in Oberhausen keine Stelle dauerhaft vakant gewesen. Insgesamt erwartet die EVO nicht unbedingt eine Verschlechterung, aber ein gleichbleibendes Problemniveau.

Energiewende bringt neue Berufe hervor

„Um Nachwuchs in den technisch-naturwissenschaftlichen Berufen zu gewinnen, gilt es, bereits in den Schulen anzusetzen und insbesondere Frauen zu motivieren“, sagt BDEW-Vorsitzende Andreae. Es solle verstärkt für die Berufe der Energiewirtschaft geworben werden. „In den vergangenen Jahren sind durch die Energiewende und die Digitalisierung eine Reihe neuer Berufsbilder und Tätigkeitsfelder entstanden, zum Beispiel Powertrader, Regulierungsmanagerin oder Servicetechniker Windenergie.“

Viele dieser vielfältigen und zum Teil hochspezialisierten Ausbildungen und Berufe seien oftmals noch wenig bekannt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für Andreae ein verstärkter Austausch zwischen Hochschulen und Praxis, um Ausbildung und die in der Wirtschaft benötigten Kompetenzen besser zu verzahnen. Die Energieversorgung Oberhausen hat die Erfahrung gemacht, dass es zwar auf Hochschulniveau bereits viele Anstrengungen gibt. Bei betrieblichen Ausbildungsberufen scheinen diese jedoch noch nicht so ausgeprägt zu sein.

Hier sieht der kommunale Versorger Münchens zudem die Herausforderung, dass Berufe wie Anlagenmechanikerin oder Elektroanlagenmonteur gemeinhin als „unmodern“ gelten. Dabei steigen gerade bei solchen Berufsbildern die Anforderungen. Die SWM bemühen sich daher, das Image dieser Jobprofile zu entstauben und junge Menschen für die Berufe zu begeistern, zum Beispiel mit Informationen zu allen Ausbildungsberufen. Außerdem geben die SWM Einblicke in den Azubi-Alltag über Social-Media-Plattformen wie Tiktok oder Instagram. 

Mehr Geld für Aus- und Weiterqualifizierung

Letztendlich braucht es laut BDEW neben einer offensiveren Werbung bei jungen Leuten für Jobs in der Energiebranche auch mehr Geld für die Aus- und Weiterqualifizierung. Die Engpässe bei den Arbeitskräften zur Umsetzung der Investitionen für ein klimaneutrales Deutschland können laut Kurzstudie der Grünen auch durch Branchen- und Berufswechsel entschärft werden; das erfordert jedoch umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen.

Konkret fordert Handwerkspräsident Wollseifer mehr Geld − vor allem für die berufliche Bildung. Außerdem solle die Meisterprüfung in Gänze kostenfrei gestellt werden. Hier sieht der ZDH-Präsident eine Schieflage, die behoben gehört. Seiner Ansicht nach konzentriert sich die Bildungspolitik seit Langem zu einseitig auf die akademische Ausbildung.

Versorger wie die EVO oder die SWM setzen schon lange verstärkt auf mehr eigene Ausbildung, sodass sie ihren eigenen Nachwuchs heranziehen. Ein weiterer wichtiger Punkt sind attraktive Mitarbeitervorteile, um die Arbeitskräfte auch zu halten − dazu gehören eine moderne Unternehmenskultur, flexible Arbeitszeitmodelle, Weiterbildungsangebote, Förderung von Auszubildenden, attraktive Gehälter und spannende Aufgaben in sicheren Jobs. „Um sicherzustellen, dass alle Berufsgruppen gern bei uns bleiben“, so der Oberhausener Versorger. 
 

Heidi Roider
Redakteurin und Chefin vom Dienst
+49 (0) 8152 9311 28
eMail
facebook
© 2024 Energie & Management GmbH
Freitag, 29.10.2021, 08:30 Uhr

Mehr zum Thema