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Enerige & Management > Europaeische Union - Warum die deutsche Regulierung wohl grundsätzlich gegen EU-Recht verstößt
Bild: Fotolia, kreatik
EUROPAEISCHE UNION:
Warum die deutsche Regulierung wohl grundsätzlich gegen EU-Recht verstößt
Deutschland habe die europäische Strom- und Gasrichtlinie nicht richtig umgesetzt, so der Vorwurf. Laut EU-Kommission soll sich die Politik weniger einmischen.
 
Noch verschanzt man sich in Bonn und Berlin hinter der Floskel vom "laufenden Verfahren". Weder die Bundesnetzagentur noch das Bundeswirtschaftsministerium wollen sich offiziell zum Gutachten des Generalanwaltes Giovanni Pitruzzella beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) äußern. Dieser war Mitte Januar zu einem vernichtenden Urteil über die deutsche Regulierungspraxis gekommen. Die höchsten Richter der EU sind dadurch zwar nicht gebunden, in den allermeisten Fällen folgen sie aber mit ihrem Urteil der Meinung des Generalanwaltes. Das Urteil aus Luxemburg wird noch vor der Sommerpause erwartet.

Sollte das Votum der Richter sich gegen die deutsche Regulierungspraxis stellen, dann dürfte für den hiesigen Gas- und Strommarkt ein neues Zeitalter beginnen. Denn mit den Regeln des europäischen Energie-Binnenmarktes scheint die gegenwärtige Praxis nicht vereinbar. 

Die aktuelle Praxis sieht vor, dass die Bundesregierung die Verhältnisse auf dem Strom- und Gasmarkt per Verordnung festlegt. Diese Verordnungen über die Netzentgelte, den Netzzugang oder die Anreizregulierung legen fest, wer Zugang zu den Strom- und Gasleitungen in Deutschland erhält und was die Netzbetreiber dafür verlangen dürfen.
  Geringer Entscheidungsspielraum der Bundesnetzagentur

Die Entscheidung für jedes einzelne Unternehmen trifft zwar am Ende die Regulierungsbehörde, ihr Entscheidungsspielraum wird jedoch als äußerst gering angesehen. Welche Kosten sie berücksichtigen darf und wie sie zum Beispiel Netzentgelte berechnen muss, wird in Deutschland auf dem Verordnungsweg festgelegt. Nach Paragraf 24 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ist die Regierung für die Gestaltung des Strom- und Gasmarktes zuständig.

Die Strom- und Gasrichtlinie der EU weisen diese Aufgabe nach Ansicht des Generalanwaltes aber der Regulierungsbehörde, in Deutschland der Bundesnetzagentur zu. Sie müsse "vollkommen selbstständig" über die Zugangsbedingungen zu den Strom- und Gasleitungen entscheiden und auch darüber, wie viel dafür bezahlt werden muss. Die nationalen Regulierungsbehörden müssten ihre Entscheidungen "unabhängig und im Interesse des Allgemeinwohls" treffen.

Diese Aussicht hat die deutsche Strom- und Gaslobby aufgescheucht. Für eine "konsistente Energiepolitik ist insbesondere mit Blick auf die ehrgeizigen Ziele auch in Zukunft eine politische Rahmensetzung für die Entscheidungen der Regulierungsbehörde erforderlich", heißt es in einer Stellungnahme des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Genau diese "politische Rahmensetzung" bestreitet die EU-Kommission.

Nur Deutschland und Ungarn wurden deswegen verklagt

Sie hatte schon vor fünf Jahren ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Damals waren es nicht nur die Deutschen, die sich eine funktionierende Energiewirtschaft ohne politische Eingriffe nicht vorstellen konnten. Auch in anderen Hauptstädten wurde die Kommission 2015 vorstellig, um die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden durchzusetzen. In fast allen Fällen war sie damit erfolgreich, ohne den Rechtsweg zu beschreiten. Alleine Deutschland und Ungarn musste die Kommission vor dem EuGH verklagen.

Welche Folgen es genau haben würde, wenn sich die Kommission vor Gericht durchsetzt, lässt sich gegenwärtig nur vermuten. Auf jeden Fall müsse sichergestellt werden, "dass die regulierungsbehördlichen Entscheidungen für die Netzbetreiber verlässlich, vorhersehbar und methodisch konsistent sind", verlangt der BDEW. Das könnte eine autonome Regulierungsbehörde aber mindestens ebenso gut leisten wie ein Ministerium.

Für die Strom- und Gaslobby wäre es aber möglicherweise schwerer, die Entscheidungen einer unabhängigen Behörde zu beeinflussen. Die deutsche Versorgungswirtschaft ist traditionell gut vernetzt im politischen Betrieb. Diese Netzwerke würden über Nacht wertlos, wenn Entscheidungen, die bislang in Berlin getroffen werden, in die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur fallen würden.

Davor fürchten sich auch die Politiker. Es sei wichtig, "Energiewendepolitik aus einem Guss machen zu können", sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle. "Hier kann das öffentliche Interesse nur durch das Parlament definiert werden." Genau das widerspricht aber offenbar dem europäischen Energierecht, wie es − übrigens mit deutscher Zustimmung − 2009 beschlossen wurde.

Eine Lösung wäre die Aufspaltung der Bundesnetzagentur

Ob eine von der Politik unabhängige Regulierung vereinbar etwa mit der Förderung von erneuerbaren Energien wäre, ist umstritten. Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht geht davon aus, dass die Förderpolitik nicht von einer unabhängigen Regulierung beeinträchtigt würde. Die Politik behalte auch dann die Möglichkeit, eigene, energiepolitische Ziele zu verfolgen.

Eine Lösung des Konfliktes mit der EU könnte nach Ansicht Müllers in einer Aufspaltung der Bundesnetzagentur liegen, die heute nicht nur mit der Regulierung einzelner Märkte befasst sei, sondern auch administrative Aufgaben wahrnehme. Die EU verlange volle Autonomie nur, wenn es darum gehe, Monopole wie die Netzgesellschaften daran zu hindern, ihre Marktmacht zulasten der Verbraucher einzusetzen.

Dagegen handele die Bundesnetzagentur als ausführendes Organ des Bundes, wenn es darum gehe, zum Beispiel den Netzausbau zu genehmigen. Die Zuständigkeit der Regierung für die nationale Energiepolitik werde durch die EU aber nicht infrage gestellt. Eine organisatorische Trennung beider Aufgaben könnte deshalb ein Teil der Lösung im Streit mit Brüssel sein.

Politische Entscheidung erst nach der Bundestagswahl

In Bonn bei der Bundesnetzagentur betrachtet man solche Perspektiven mit gemischten Gefühlen. Auf jeden Fall bringt das große Fragezeichen, das der Generalanwalt hinter das deutsche Regulierungsmodell gesetzt hat, eine Menge Unsicherheit. Erst wenn das Urteil des EuGH vorliegt, kann sich die Bundesregierung mit der Frage befassen, welche Änderungen sie am Energiewirtschaftsgesetz vornehmen will.

Wegen der anstehenden Bundestagswahl wird eine politische Entscheidung darüber frühestens Anfang nächsten Jahres möglich sein. Einen Gesetzentwurf gibt es voraussichtlich erst Mitte und ein neues Energiewirtschaftsgesetz wahrscheinlich erst Ende 2022. Und erst dann könnte die Bundesnetzagentur Regulierungsentscheidungen auf einer rechtlich gesicherten Grundlage fällen.
 

Tom Weingärtner
© 2024 Energie & Management GmbH
Freitag, 22.01.2021, 16:13 Uhr

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