• Schwächelnde Erneuerbare treiben Strompreis nach oben
  • Thüringer Teag stellt hunderte Mitarbeitende ein
  • Prognose: Doppelt so viele neue Kilometer wie 2023
  • Wärmenetz mit PV und Hackschnitzeln in 900-Seelen-Ort fertig
  • Tübingen baut Solarthermie-Park fürs Fernwärme-Netz
  • Weiterer Umsetzungsentwurf für RED III liegt vor
  • Mammutprojekt im bayerischen Bad Tölz auf dem Weg
  • Wien Energie: Bilanz als Ansichtssache
  • Thyssen beliefert Fernwärmeverbund mit mehr Abwärme
  • Pfeuffer wird Teil der Einskommafünfgrad
Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Kunden fern der Wärme
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN ZEITUNG:
Kunden fern der Wärme
Komplizierte Rechnungen, extreme Preisunterschiede − die Kritik an Fernwärmeversorgern wächst. Der Markt soll transparenter werden.
 
Die Schilderungen von Sebastian Koch (SPD) dürften vielen seiner Amtskollegen in Erinnerung bleiben. „Was in Wenzenbach passiert, ist brutal für die Wärmewende in Ostbayern“, sagt der Bürgermeister der 9.000-Seelen-Gemeinde im Landkreis Regensburg. In der zweiten Februarhälfte hatte der örtliche Wärmeanbieter die Versorgung eingestellt und Wenzenbach bayernweit in die Schlagzeilen katapultiert. Bürgermeisterkollegen erkundigten sich danach bei Koch, was schiefgelaufen sei. „So wie sich der Fall jetzt herumspricht, werden es Energie-Start-up-Unternehmen hier in der Region künftig schwer haben, ein Fern- oder Nahwärmeprojekt zu realisieren“, glaubt er.

Der Abschaltung vorangegangen ist ein langjähriger Streit ums Geld. Auf der einen Seite streiten Haushalte in einem Neubaugebiet, auf der anderen die Energieversorgung Wenzenbach (EVW). Anwohner werfen dem Unternehmen vor, nicht nachvollziehbar hohe Rechnungen ausgestellt zu haben; Zweifel bestehen an den Anschlussleistungen und geforderten Baukostenzuschüssen. Die EVW hält sich nach eigener Aussage an das einschlägige Regelwerk „AVBFernwärmeV“ und kreidet Kunden an, falsche Angaben zum Verbrauch zu machen und Zahlungen zu verweigern. Die Akten zu den Gerichtsverfahren füllen Ordner. Die Außenstände des Versorgers sollen sich auf mehr als 1,6 Millionen Euro summieren. Anfang März meldete das Unternehmen Insolvenz an.

Nicht der einzige Lieferstopp diesen Winter. In der bayerischen Gemeinde Ried drehte ein Landwirt vergangenen Dezember Haushalten die Abwärme aus seiner Biogasanlage ab. Die Anwohner hatten sich geweigert, einen neuen Abnahmevertrag mit höherem Preis und garantierter Abnahmemenge zu unterschreiben. Auch dieser Streit ist vor Gericht gegangen.

Verbraucherschützer zeigen sich alarmiert

Verbraucherschützer zeigen sich alarmiert. „Es sollte nicht sein, dass ein Fernwärmelieferant die Versorgung einfach einstellt. Es muss zumindest eine Regelung geben, wonach das einige Zeit vorher angekündigt werden muss“, sagt Thomas Engelke, Teamleiter Energie und Bauen beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV).

Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK (AGFW) sieht in dem Fall in Wenzenbach „ein Schulbeispiel für falsch verstandenen Verbraucherschutz“. Die Einstellung der Versorgung beruhe vor allem darauf, dass Fernwärmekunden das Sonderkündigungsrecht geltend gemacht und auf Wärmepumpen umgerüstet hätten, erklärt Werner Lutsch. Der Verbandsgeschäftsführer spricht von unsolidarischem Verhalten. „Allen Anliegern des Neubaugebiets war klar, dass ein Fernwärmesystem nur dann wirtschaftlich ist, wenn möglichst alle Gebäude angeschlossen werden.“

Lutsch verweist auf den Paragraf 3 der AVBFernwärmeV. Diesen „voreilig“ 2021 eingeführten Paragrafen gelte es, in der anstehenden Neufassung der Verordnung zu reformieren. Der Versorger in Wenzenbach sei in Liquiditätsschwierigkeiten geraten, weil ans Netz angeschlossene Haushalte durch Gebrauch der Sonderkündigungsregelung Fernwärmepreise, Baukostenzuschüsse oder Hausanschlusskostenbeiträge nicht oder nur in geringem Umfang gezahlt hätten. Nach Darstellung von Bürgermeister Sebastian Koch ist die Rechnung der EVW auch deshalb nicht aufgegangen, weil sich Pläne, das Wärmenetz zu erweitern, zerschlagen hätten.

Die Lieferstopps sind neue Aufreger in der Diskussion über die Preisgestaltung von Fernwärmeanbietern. Verbraucherschützer kritisieren seit Jahren die großen Preisunterschiede und fordern Transparenz. Der Finanzmathematiker Werner Siepe aus Erkrath hat für das erste Quartal 2024 die Fernwärmepreise von 120 Anbietern am Beispiel eines Mustereinfamilienhauses verglichen (Jahresverbrauch: 18.000 kWh, Anschlussleistung: 10 kW). Die Daten, die er, wie er selber sagt, stichprobenartig erhoben hat, zeigen eine Spanne beim Arbeitspreis von über 600 Prozent. Der höchste Arbeitspreis mit 30,5 Cent netto je kWh gilt demnach in einem Versorgungsgebiet des Anbieters Hansewerk Natur, den niedrigsten haben die Stadtwerke Eisenhüttenstadt mit 4,3 Cent.

Eine Spanne von über 1.000 Prozent offenbaren Siepes Berechnungen für das Jahr 2022. An oberster Stelle im Vergleich taucht ein Versorgungsgebiet der Eon-Tochter Avacon Natur mit einem Arbeitspreis von 42,1 Cent je kWh auf. Dahinter folgen die Stadtwerke Weimar mit 39,6 Cent. Ein Fernwärmepreisvergleich unter 149 Anbietern, den die AGFW in Auftrag gegeben hat und der E&M vorliegt, zeigt für das gleiche Jahr einen Preisunterschied bis zu 635 Prozent (Jahresverbrauch: 28.800 kWh, Anschlussleistung: 15 kW).

Bundeskartellamt eröffnete gegen sechs Stadtwerke Verfahren

Das Bundeskartellamt eröffnete im November 2023 gegen insgesamt sechs Stadtwerke und Fernwärmeversorger Verfahren „wegen des Verdachts auf missbräuchlich überhöhte Preissteigerungen im Zeitraum von Januar 2021 bis September 2023“. Im Fokus der Ermittlungen stehen die Preisanpassungsklauseln. Behörden-Chef Andreas Mundt sieht teilweise „exorbitante Preissteigerungen“.

Der VZBV reichte vergangenen November Sammelklagen gegen die Anbieter Eon und Hansewerk Natur ein. Auch die Verbraucherschützer stoßen sich an den Preisanpassungsklauseln. Sie wollen, dass die Klauseln novelliert werden. „In das Kosten- und auch Marktelement sollten künftig nicht mehr die Börsenpreisindizes einfließen, sondern allein die Marktindizes, die das statistische Bundesamt ermittelt“, sagt Energieexperte Thomas Engelke. Darüber hinaus geht es dem Verband um Transparenz zwischen den Netzen. „Wir fordern ein bundesweites Wärmenetzregister, in dem Daten über Netze einsehbar sind, sodass Verbraucherinnen und Verbraucher die Kosten von verschiedenen Netzen vergleichen können.“

Die Branche ergreift indes längst selbst die Initiative. Die AGFW hat für dieses Frühjahr eine Online-Transparenzplattform angekündigt, die über einen Preisvergleich hinausgeht. Die Plattform, die in Zusammenarbeit mit VKU und BDEW entsteht, werde „neben netzindividuellen Preisen für Standardabnahmefälle auch weitere Kenngrößen der Netze wie den Anteil der eingesetzten Wärmequellen, Netzgröße oder Preisanpassungszyklen darstellen“, beschreibt Lutsch.

Sie werde auch die Fortschritte bei der Dekarbonisierung der Wärmenetze deutlich machen. Zudem soll es eine zentrale Adresse geben, an die sich Wärmekunden in Problemfällen wenden können. „BDEW, VKU und AGF haben ihre Mitglieder aufgefordert, sich der Universalschlichtungsstelle des Bundes anzuschließen“, sagt Lutsch.

Ob das der Politik reicht? Nach dem Willen von Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke soll es zusätzlich zu einer Schlichtungsstelle eine „starke staatliche Missbrauchsaufsicht“ geben, wie sie im März gegenüber Medien betonte. Überdies spricht sich die Grünen-Politikerin für klarere Regelungen für Preisänderungsklauseln und einen Schutz vor Wärmesperren aus.

Aus dem Bundeswirtschaftsministerium, das an einer neuen AVBFernwärmeV arbeitet, heißt es: Im Rahmen der Novelle strebe man „mehr Transparenz über Preis- und Versorgungsbedingungen sowie insgesamt für Kunden und Versorger attraktive Rahmenbedingungen für eine günstige Versorgung“ und eine Stärkung des Verbraucherschutzes an.

​„Wichtig ist, die Kunden immer mitzunehmen“

Beim VKU verfolgt man die Debatte um Fernwärmepreise mit Sorge. Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing warnt davor, „die Fernwärme schlechtzureden“. „Wer die Fernwärme mit falschen Vorwürfen diskreditiert, gefährdet die Wärmewende.“ Die Preissteigerungen hätten so auch nicht kommen müssen. „Bei einer frühzeitigen Anpassungsmöglichkeit der Preise hätten Fernwärmekunden besser von der Preisbremse profitieren können“, sagt Liebing an die Adresse der Politik. Die Debatte ist aus Sicht des VKU zudem unverhältnismäßig: „Wir erleben vor Ort eine hohe Zufriedenheit mit der Fernwärme und die Nachfrage nach neuen Anschlüssen ist groß.“

Peter Lohr kann das für sein Unternehmen bestätigen. „In Unterföhring ist das kein großes Thema“, teilt der Geschäftsführer des kommunalen Fernwärmeversorgers Geovol mit. Das Geothermieunternehmen, das 2007 gegründet wurde, zählt mehr als 700 Kunden. Bisher habe es „zwei Anfragen/Beschwerden zu unseren Preisen“ gegeben, schreibt Lohr und weist darauf hin, dass „unsere Preisanpassungsregel nicht sehr kompliziert“ ist. Sein Kalkül: Wenn sich der Versorger an die Vorgaben zur Preisgestaltung gemäß AVBFernwärmeV halte, sei das ein sehr faires Verhalten. „Wichtig ist, die Kunden immer mitzunehmen und offen zu kommunizieren.“
 

Manfred Fischer
© 2024 Energie & Management GmbH
Dienstag, 02.04.2024, 08:52 Uhr

Mehr zum Thema