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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Einzug der künstlichen Helfer
Quelle: Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN ZEITUNG:
Einzug der künstlichen Helfer
Auch in der Energiewirtschaft kann künstliche Intelligenz immer mehr Aufgaben übernehmen. Doch der Einsatz ist nicht ohne Tücken.
 
Was passiert, wenn man eine künstliche Intelligenz (KI) fragt, wie der Einsatz von KI die Energiewirtschaft verändern wird? Sie antwortet folgendermaßen: „Künstliche Intelligenz (KI) hat bereits begonnen, die Energiewirtschaft in vielerlei Hinsicht zu verändern, und wird voraussichtlich noch tiefgreifendere Auswirkungen haben.“ So jedenfalls drückt es der vom US-amerikanischen Unternehmen „OpenAI“ entwickelte Chatbot ChatGPT aus.

Tatsächlich versprechen sich einer Studie der Deutschen Energieagentur (Dena) zufolge rund drei Viertel aller Führungskräfte in der Energiewirtschaft positive Effekte durch den Einsatz von KI. Sie erwarten neue, innovative Geschäftsmodelle, Produktivitätssteigerungen und eine nachhaltigere Energiewirtschaft. Dieselbe Studie konstatiert allerdings auch: Nur 17 Prozent der befragten Führungskräfte fühlten sich gut oder sehr gut über das Thema KI informiert.

Moritz Brunemann, Management Consultant beim IT-Dienstleister Arvato Systems, beschäftigt sich seit 2017 mit den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz. Damals war er als Leiter Privatkundenservice bei den Stadtwerken Esslingen beschäftigt. „Wir hatten eine große Menge an Kundendaten und ich wollte eine Möglichkeit finden zu bewerten, welche Kunden kündigungsgefährdet sind.“ Gemeinsam mit einem Dienstleister entwickelte er ein Programm zur Analyse der Datenmengen.

Es durchsucht alle Kundendaten anhand verschiedener Merkmale, vergleicht sie mit den Daten von Kunden, die bereits gekündigt haben − und liefert eine Liste derjenigen, die möglicherweise bald kündigen könnten. „Ich denke, das ist der große Mehrwert, den selbstlernende Programme bieten: Dinge erkennen in einer enorm großen Masse von Daten, die der Mensch alleine nicht sehen würde“, so Brunemann.

Umdenken erforderlich

Die Anwendungsmöglichkeiten von KI in der Energiewirtschaft, von der Kundenschnittstelle über Service und Wartung bis zur Netzsteuerung, sind enorm. Aber sie erfordern zunächst ein grundlegendes Umdenken. Denn während herkömmliche Computeranwendungen anhand vorgegebener Regeln akkurate Lösungen liefern − ein Taschenrechner bietet auf die Frage, was zwei plus zwei ist, im Normalfall die richtige Antwort „vier“ −, verknüpfen KI-Modelle Daten eigenständig anhand statistischer und mathematischer Modelle. So berechnen sie das Ergebnis, das mit der größten Wahrscheinlichkeit richtig ist − allerdings auch falsch sein kann.

Vor allem bei der Anwendung komplexer Algorithmen ist für den Nutzer kaum noch nachvollziehbar, wie das Ergebnis zustande gekommen und warum es möglicherweise falsch ist. Darüber hinaus steht und fällt die Zuverlässigkeit des Ergebnisses mit der Güte der Daten, mit denen die KI trainiert worden ist.

„Gerade was den Bereich der Prognosen angeht“, so Moritz Brunemann, „habe ich noch keine fertige Lösung gesehen, die für alle taugt. Dabei spielt auch Regionalität eine Rolle: Ein KI-Modell aus München funktioniert nicht unbedingt in Hamburg und ein Modell, das für einen Flächenversorger entwickelt wurde, liefert in einer Großstadt keine optimalen Ergebnisse. Das muss man immer sehr regional oder sogar individuell für den Energieversorger entwickeln.“

Darüber hinaus müssen die Daten auch immer wieder aktualisiert werden. Beispiel Klimawandel: Ein Wetterprognosemodell, das anhand der Wetterdaten vor fünf Jahren entwickelt wurde, liefert schon heute nicht mehr unbedingt korrekte Ergebnisse.

„Das ganze Ausmaß möglicher Fehlerquellen, die die Digitalisierung und der Einsatz von KI mit sich bringen, ist bisher nicht eindeutig abzuschätzen“, heißt es denn auch in dem Gutachten „Datenanalysen und KI im Stromverteilnetz“, das das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik 2022 erstellt hat: „Da KI-Anwendungen (...) in der Regel größere Datenmengen und potenziell neue Datenquellen nutzen können, die von klassischen Methoden nicht verwendet werden, können KI-Methoden ein höheres Maß an Anfälligkeit für Datenfehler aufweisen.“ Allerdings böten KI-Methoden selber auch die Möglichkeit, Daten im Vorfeld der Nutzung auf Validität und Konsistenz hin zu prüfen.

KI wird Schritt für Schritt einfach in den Alltag einziehen

Schon jetzt experimentieren viele Energieversorger mit den Anwendungsmöglichkeiten − in unterschiedlichem Ausmaß. So setzen die Stadtwerke Hamm (Nordrhein-Westfalen) seit Anfang des Jahres auf künstliche Intelligenz im Kundencenter, als „kleine Unterstützung für die Telefonie“, wie es dort heißt. Der Essener Energiekonzern Eon hingegen setzt KI bereits in großem Maßstab ein − zur optimalen Ausrichtung von Windenergieanlagen, zur Stromnetzsteuerung oder zur vorausschauenden Wartung der Mittelspannungskabel.

Grundsätzlich aber, so IT-Experte Brunemann, gehe er nicht davon aus, dass sich alle EVU nun selber mit allen technischen Möglichkeiten beschäftigen, Personal aufstocken, Know-how aufbauen und entsprechende Investitionen tätigen müssen. „Ich glaube, dass die KI einfach bei uns in den Alltag einzieht. Dass auch Energieversorger in ihrer Software KI-Module vorfinden und die dann nutzen − oder eben nicht.“

So berichtet man beim Softwareanbieter SAP auf E&M-Anfrage, dass die in der Branche weit verbreitete Lösung SAP S/4HANA bereits heute mehr als 50 KI-unterstützte Business-Szenarien bietet. Angefangen bei der Automatisierung von Massenprozessen wie der Plausibilisierung von Ableseergebnissen oder der Identifikation fehlerhafter Abrechnungen bis hin zur Verbesserung der Anlagenverfügbarkeit und der Reduzierung von Wartungskosten durch Predictive Maintenance seien bereits viele Anwendungen integriert.

Auch die Mitarbeiterunterstützung durch KI-basierte Clearing-Vorschläge für den Abgleich von Rechnungen und Zahlungen sei bereits möglich, ebenso wie die Nutzung intelligenter Algorithmen, die im Bereich Kundenservice Kundenanfragen auf allen Kanälen analysieren und beantworten beziehungsweise den zuständigen Mitarbeiter identifizieren und informieren können.

Die große Aufgabe für Energieunternehmen liege nun darin, so IT-Experte Brunemann, festzulegen, wie man mit den Möglichkeiten umgehen möchte: Sollen sie genutzt werden? Wenn ja, in welchem Umfang? Und wie bewertet man die generierten Ergebnisse? Von Datenschutz bis IT-Sicherheit sind hier eine ganz Reihe an Fragen offen, die auch auf politischer Ebene noch nicht geklärt sind.

Und letztlich geht es auch um die ganz große Frage nach der Verantwortung: Bereits jetzt wäre es technisch möglich, beispielsweise die Stromnetzsteuerung vollständig einer KI zu überlassen. Aber, so Brunemann: „Wenn die KI dann Fehler macht und das komplette Netz heruntergefahren werden muss, dann haben wir Schäden in Millionenhöhe. Und eine KI kann ich schlecht verklagen.“

Und so schließt auch ChatGPT seine Antwort auf die Frage nach den Einsatzmöglichkeiten von KI in der Energiewirtschaft mit dem Hinweis: „Es ist wichtig anzumerken, dass diese Veränderungen nicht ohne Herausforderungen kommen. Datenschutz, Cybersicherheit und ethische Aspekte sind wichtige Überlegungen bei der Nutzung von KI in der Energiewirtschaft. Dennoch hat KI das Potenzial, die Effizienz, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit der Energiewirtschaft erheblich zu verbessern.
 

Katia Meyer-Tien
Redakteurin
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Mittwoch, 19.07.2023, 08:45 Uhr

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